Bedürfnisse verstehen statt vermenschlichen: Was macht Hunde wirklich glücklich?

Vor ein paar Tagen habe ich mich wieder ertappt: Inspiriert von einem Instagram Post hatte ich mich spontan in einen Plüschbiber verliebt – natürlich nicht für mich, sondern als neuer Zeitvertreib für den Pudel. Im Onlineshop fündig geworden, konnte ich mich in letzter Sekunde noch bremsen, das Spielzeug tatsächlich zu bestellen.

Mäntel für Regenwetter, Fleecepullis im Winter, ein lustiges Helloween-Outfit, überfüllte Spielzeugkisten in kompletter Pantone-Farbwelt und abgestimmte Pflegeserien für Kurz- oder Langhaar, sensible Haut oder Locken – nichts ist heute unmöglich, um unseren Vierbeinern das eigene Körbchen in ein Schlaraffenland zu verwandeln. Auch ich lasse mich gerne immer wieder hinreissen und nutze gerne Feiertage für einen Mini-Kaufrausch: Zum Geburtstag und Weihnachten durfte es ein flauschiger Webpelz-Schlafsack in Holzfäller-Optik sein und erst neulich fand eine schöne Hundeliege ihren Weg in unser Wohnzimmer. Ob Niko das wirklich alles zum Glücksein braucht? Wahrscheinlich nicht.

 

Gut gemeint, ist noch lange nicht richtig 

Ab wann geht Tierliebe in die falsche Richtung? Fast jeden Tag mache ich mir Gedanken, wie ich Nikos Tagesablauf am Besten gestalten kann. Das fängt schon an, wenn wir uns morgens auf den Weg ins Büro machen und möglichst immer eine andere Strecke laufen. Ob wir lieber Treppen steigen oder mal den Fahrstuhl nehmen und wohin uns die Mittagsrunde verschlägt, wenn der Sommer die Hitzerekorde bricht. Liegt er bequem, ist ihm vielleicht zu langweilig oder zu kalt draußen? Statt artgerecht zu denken, setze ich meistens meine ganz persönlichen (menschlichen) Maßstäbe an. Und genau hier liegt das Problem. Zwar alles in bester Absicht, doch teilweise wirklich unnötig und am Ende mit verheerenden Folgen. Das wurde mir im Gespräch mit unserer neuen Trainerin klar. Denn gemeinsam arbeiten wir daran, Nikos Kontrollverlust lindern und schleifen gerade an vielen kleinen Basics, die Niko die nötige Entspannung geben.

Der beste Freund

Ob Hund, Katze oder sogar Pferd – Tiere nehmen einen immer größeren Stellenwert als Sozialpartner ein. Der Pudel und ich sind da keine Ausnahme. In den letzten 20 Monaten ist Niko nicht nur zu einem festen Bestandteil meines Alltags geworden, sondern auch ein ziemlich bester Freund. Geduldig teilt er mit mir Freude, ratlose Momente oder Stress. Sogar den einen oder anderen Faux-pax, besonders in der Anfangszeit, hat er mir nachgesehen. Und so wie mir geht es zum Glück ganz vielen anderen Menschen. Bevor ich mit pudelwohl.berlin an den Start ging, war mir gar nicht bewusst, welchen Hype Tiere im Internet auslösen und wie groß eigentlich die deutsche Hundeblogger-Szene ist. Auch im Job sind Vierbeiner gern gesehene Gäste. Letzte Woche durfte ich Niko sogar mit zum Agentur-Geburtstag nehmen, da ich ihn aufgrund des Trainings momentan nicht allein zu Hause lassen kann. Auch bei allgemeinen Planungen im Büro werden unsere Feel Good Manager in spe berücksichtigt – eben wie richtige Teammitglieder. Am Anfang hatte ich noch ein schlechtes Gewissen, dass Niko mich nun vier Tage die Woche ins Büro begleitet und wir einen Tag im Homeoffice bleiben. Ist das nicht zu langweilig und fehlt ihm nicht der Ausgleich in seinem Hunderudel? Nein. Klar ist ein Tag in der Huta ganz schön aufregend, aber Hunde sind am liebsten bei ihren Menschen und genießen deren Nähe, solange genügend Auslauf und auch soziale Kontakte nicht zu kurz kommen.

Nicht alles ist cool

Die Grenze zwischen gesunder und vermeintlicher Tierliebe ist also ein schmaler Grat. Das fängt schon beim Streitthema „Darf mein Hund mit auf die Couch oder ins Bett“ an. Für mich ist das Kontaktliegen eher ein Zeichen von Bindung. Andere Stimmen sehen darin schon eine Verletzung der Rangordnung, die das Rudelleben durcheinander bringt. Ich bin froh, dass unsere Trainerin das ganz locker sieht und unsere Rountine bestätigt. Einzige Veränderung, mit der ich aber sehr gut leben kann: Ich lade Niko vorher offiziell ein, bevor er es sich neben mir bequem macht.

Klassiker heute in der Tram: Aus dem Nichts und ungefragt wird Niko angefasst. Wenig begeistert, unterbinde ich die Aktion und ernte wie so oft massives Unverständnis. Hunde würden sich darüber freuen und die Kinder hätten doch Tiere so gern. Ähm, Tierliebe hat nichts mit Anfassen zu tun und Tiere sind generell kein Spielzeug oder Objekte, die sich über fremde Streicheleinheiten freuen. Auch ein Evergreen: Ein bisschen Naschen vom Teller ist doch nicht so schlimm. Gerne wird Niko auch animiert, unterm Tisch „staubzusaugen“. Die meisten machen sich jedoch keine Gedanken, dass nicht alle vermeintlichen Leckerbissen für den Pudelmagen wirklich gesund sind. Durchfall und ein kleine Magenverstimmung sind da noch die kleinsten Übel. Knochenreste können als Splitterfalle sogar lebensbedrohlich werden. Während gewürztes oder mariniertes Fleisch den Magen ordentlich zum Rumoren bringt und rohes Schweinefleisch richtig krank macht. Da nützt auch kein trauriger Hundeblick oder hartnäckiges Anstupsen. Nachgeben führt hier in die falsche Richtung und bringt ebenso die Rudelführung in ein Ungleichgewicht. Auch das musste ich in den letzten Monaten lernen.

Manchmal habe ich mich heimlich in die Küche geschlichen. Natürlich hat die neugierige Pudelnase immer Lunte gerochen und mich quasi auf frischer Tat ertappt. Warum eigentlich? Keine Ahnung, mir war nur das Essen vor seinen Augen irgendwie unangenehm. Mittlerweile habe ich mit den traurig inszenierten Hundeblicken kein Problem mehr und kann ohne schlechtes Gewissen, genießen.

Ungleiche Balance

Niko wäre kein Charmeur, wenn er nicht wissen würde, wie er mich, Freunde und Kollegen konditioniert. Ein bisschen Schwanzwedeln, Anstupsen, bewusst verbotene Dinge tun, um ein bisschen Aufmerksamkeit zu erhaschen und ans Ziel zu kommen. Paradebeispiel war tatsächlich der Besuch unserer Trainerin: Nach einer recht stürmischen Begrüßung, die ich leider zu spät und nicht konsequent genug unterbunden habe, ging es mit den Flirtereien direkt los. Um die Beine schleichen, von hinten zärtlich den Nacken anschnauben und durch die Haare wuscheln – er hat wirklich alle Karten gespielt, um sie zu beeindrucken.

Aber Vorsicht: Allzu schnell neigen wir dazu, unsere menschlichen Denkweisen und Verhaltensmuster auf die Vierbeiner zu übertragen. Als ich zum Beispiel Niko das erste Mal mit der Maschine das Fell geschnitten habe, war er währenddessen und auch danach überhaupt nicht gut auf mich zu sprechen. Direkt im Anschluß setzte er sich vor die Wohungstür und war auch Tage danach noch sehr verhalten. Ich deutete das als „stur“ und „eingeschnappt“. Aber ein solches Verhalten gibt es unter Hunden nicht. Vielmehr war Niko unsicher in seiner Einschätzung mir gegenüber. Wahrscheinlich war ich während des Schneidens in einigen Momenten nicht konsequent genug oder habe ihm zu wenig Sicherheit ausgestrahlt. Ein Grund für ihn, meine Position in Frage zu stellen.

Ein Teil unseres Trainings widmet sich auch der Konsequenz. Auf dem Gebiet bin ich einfach viel zu nett und gebe zu schnell nach. Wie oft er mich auf der Hundewiese schon vorgeführt hat, könnte ich an fünf Händen aufzählen. Wie sehr ich ihm damit keinen Gefallen tue, wurde mir aber erst im Gespräch mit der Trainerin klar. Ab jetzt heißt es, maximal zwei Ansagen und dann folgt eine Konsequenz, die ihm die nötigen Grenzen zeigt und meine Position als Anführerin stärkt.

Natürlich wohlfühlen

Fühlt sich ein Hund wirklich dann am wohlsten, wenn der Mensch meint, sich wohl fühlen zu können? Wenn es um Äußerlichkeiten geht, verlangen wir von unseren Fellfreunden eine Menge ab. Besonders Pudel sind aufgrund ihres Fells ein gern gesehenes Frisurenmodell. Auftoupierte Tolle, aufwendige Flechtwerke oder Schönheitswettbewerbe haben die meisten im Sinn, wenn sie an Pudel denken. Vor ein paar Monaten sprach mich beim Spazierengehen am Potsdamer Platz ein älterer Herr an und meinte, dass Niko ganz dringend eine richtige Pudelfrisur bräuchte und das sein natürlicher Haarwuchs gar nicht schick aussehen würde. Ich dachte mir meinen Teil und war innerlich dankbar, dass Niko bei mir lebt und nicht bei ihm. Darauf legte auch die Tierschutz-Organisation großen Wert und prüfte mich auf Herz und Nieren, wie meine Einstellung zu solchen Wettbewerben sei, bevor ich die Zusage zur Adoption bekam.

Was für die einen die Fellschur ist, zeigt sich bei anderen in vollen Kleiderschränken ihrer vierbeinigen Familienmitglieder. Modische Outfits für jedes Wetter und alle Anlässe finden immer häufiger ihre (menschlichen) Fans. Für mich persönlich geht das komplett an den Bedürfnissen des Tieres vorbei. Bei uns hat lediglich ein kleiner Badeüberwurf einen Platz gefunden, damit Niko sich nach Ausflügen an den See unterwegs nicht verkühlt. Im Winter war ich, zugegebenermaßen, kurzzeitig auch auf der Suche nach einem schönen Pullover. Zum Glück wurde ich dann richtig beraten und hatte einen neuen Aha-Moment: Für Rassen, die aufgrund ihres Fells, zum Schutz ihrer Pfoten oder auch ihrer Herkunft etwas zum Anziehen brauchen, sind Regen- und Kälteschutz natürlich extrem wichtig. Viele Halter packen ihre Tiere warm ein, wenn es kalt wird. Klar benötigen zum Beispiel Windhunde einen warmen Überwurf, da sie aufgrund ihres kurzen Fells und ihrer drahtigen Statur schnell frieren. Aber Hunde mit normallangem Fell und üppigerer Statur können darauf getrost verzichten. Sind die Hunde nämlich an die kälteren Temperaturen gewöhnt, ist das Herumtollen draußen auch kein Problem. Es wird vielmehr eins, sobald Hunde durch überbeheizte Räume und das Tragen von Kleidung ihr natürliches Wärmeempfinden verlieren!

Voller Terminplan

Dienstags Junghundegruppe, Mittwochs Mantrailing, Samstag Obedience und Sonntags nochmal ein bisschen Canicross. Die Terminkalender mancher Vierbeiner ist voller als mein Kalender im Büro und ein gefährliches Indiz unserer Leistungsgesellschaft. Ich erlebe oft Men­schen, die ihre Hunde maß­los über­fordern. Bereits mit wenigen Monaten können sie mindestens zehn verschiedene Tricks, sind im Hundesport aktiv oder sind mitten in der Begleithundeausbildung. Hunde werden schnell auf ein hohes Level gefahren, das nicht ihrem Naturell entspricht und auch nicht artgerecht ist. Besonders am Anfang hatte ich häufig ein schlechtes Gewissen, dass ich mit Niko viel zu wenig mache, wenn ich mir im Vergleich die Aktivitäten anderer Halter angeschaut habe. Auf die Frage, welche Tricks er denn schon könne, musste ich oft die Schulter zucken. Ganz ehrlich: Muss das sein? Nein! Wenn Niko was lernt, dann völlig ohne Druck und mit der Zeit, die er dafür braucht. Umso größer sind Freude und Erfolgserlebnis, wenn alles am Ende klappt.

Als Schlaukopf mit ordentlich Power im Hintern braucht Niko trotzdem nicht nur geistiges Futter, sondern auch eine gute körperliche Auslastung. Die suche ich aber nicht auf Hundeplätzen und Kursen, sondern wir fahren so oft, wie es geht, raus ins Grüne, um neue Gebiete zu erkunden, kleinere Schnüffelspiele mit steigendem Schwierigkeitsgrad zu veranstalten oder einfach mit anderen Fellfreunden durch die Gegend zu toben. Wenn er danach träumend in seinem Körbchen liegt, sehe ich ihm an, wie glücklich er ist. Denn Hunde sind eigentlich Langschläfer und verbringen bis zu 20 Stunden am Tag im Schlummerland. Diese Zeit ist für sie enorm wichtig, damit ihr Hor­mon­haushalt im Gle­ichgewicht bleibt.

 

Als bester Freund des Menschen ist uns der Hund natürlich auch in vielen Dingen ähnlich und kann emotional reagieren: Niko freut sich mit mir und ist auch mal traurig, wenn er bestimmte Personen oder andere Hunde vermisst. Er empfindet Sehnsucht und war auch das eine oder andere Mal schon von mir enttäuscht – so wie wir das von menschlichen Beziehungen auch kennen. Aber dennoch werden tierische Verhaltensweisen und Reaktionen oft fehlinterpretiert und falsch in menschliche Muster übersetzt. Rein psychologisch kann der Mensch dafür noch nicht einmal was 😉 Trotzdem sollten wir unsere persönlichen Empfindungen mit denen unserer Hunde realistisch reflektieren und versuchen, ihre tierischen Signale zu verstehen. Nur so können wir die tatsächlichen Bedürfnisse unserer Lieblinge auch erkennen und auf diese artgerecht eingehen.