TierschutzEingreifen oder Wegschauen?

Eingreifen oder Wegschauen?

Wie so häufig stand ich neulich Nachmittag in der U1. Ich war kurz unterwegs, eine Besorgung machen, und drückte mich nun – mitten in der Rush Hour – an das Fenster in der Tür. Die Straßenzüge der Skalitzer Straße flogen in der Nachmittagssonne an mir vorbei. Doch plötzlich stockte mir der Atem und ich schrie leicht auf. Unten auf der Straße vor einer Schule erspähte ich eine Gruppe Jugendlicher. Mit ihnen war ein größerer Hund. Es wäre nichts besonderes gewesen, hätte nicht einer der Jugendlichen dem Hund aufs Hinterteil geschlagen. Ich war entsetzt und musste hilflos beobachten, dass der Rest der Runde das Geschehen teilnahmslos hinnahm. Binnen von Sekunden lag die Szenerie schon wieder hinter mir.

In meinem Kopf ratterte es – haben Passanten reagiert? Wieso interessierte es Niemanden aus meinem Waggon? Wenn ich den Vorfall gesehen habe, müssen es doch andere auch? Soll ich an der nächsten Haltestelle aussteigen und die Straße nochmal runterlaufen?

Ich entschied mich, in der U-Bahn zu bleiben. Die Chance, die Jugendlichen noch an Ort und Stelle anzutreffen, erschien mir zu gering. Aber ich fühlte mich schlecht und musste noch eine ganze Zeit lang daran denken und fragte mich, was hätte ich effektiv tun können. 

Denn was ist es schon gewesen? Wie ein Kollege aus dem Büro neulich in einem anderen Zusammenhang trocken ausdrückte: Sachbeschädigung. Tiere erhalten vor dem geltenden Gesetz keine wirklich herausragende Stellung. Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind im Bürgerlichen Recht für Tiere die Vorschriften anzuwenden, die auch für Sachen gelten. 

ABER!

Generell gilt für alle Tiere in Deutschland das Tierschutzgesetz (und im weiteren Sinne die Tierschutz-Hundeverordnung). Dieses ist jedoch sehr allgemein formuliert. Für viele Tierarten und Haltungsformen gelten zusätzlich spezifische Gutachten und Leitlinien. Allerdings sind diese nicht rechtsverbindlich, sondern lediglich Orientierungshilfe für die Halter und Amtsveterinäre. 1990 wurde ein Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht (BGBl. I S. 1762) erlassen. Der neu eingefügte § 90a BGB bestimmt, dass Tiere keine Sachen sind und durch besondere Gesetze geschützt werden. Damit wird Mensch verpflichtet, Tieren (wegen ihrer Fähigkeit, Schmerz und Leid zu empfinden) Schutz und Fürsorge zu gewähren. 

Wann also Eingreifen?

Recht oder Unrecht ist ein sehr subjektives Empfinden. Und ein entsprechendes Handeln oder Nicht-Handeln kann fatale Folgen haben. Vor ein paar Tagen begegnete mir auf der Straße vor meinem Haus eine junge Frau mit ihren beiden Hunden. Ich hörte sie schon von Weitem, da sie einen ihrer Hunde anschrie. Dieser zog schon den Schwanz ein und trottete neben ihr her. In ihrem Gesicht konnte ich diese Leere erkennen, die sich zeigt, wenn das Leben es nicht immer gut mit einem meint. Sollte ich sie also aus der Situation heraus ansprechen, weil ich das Gefühl habe, dass sie den Hunden mit ihrem Verhalten nicht gut tut? Überschreite ich damit eine Grenze, da ich nur diese Momentaufnahme sehe? Ich schaute dem Trio länger nach, um sicherzugehen, dass sich die Situation entspannte. Etwas sperrte sich in mir, sie direkt anzusprechen und mich einzumischen. Ich wollte sie nicht provozieren, um eventuell die Situation für den Hund zu verschlimmern. Noch eine ganze Weile dachte ich über sie nach. In diesem Zusammenhang musste ich an eine andere Hundebloggerin denken, die über ihren Alltag mit Depression und Hund schreibt. Für diese Ehrlichkeit und Authentizität, die ich sehr schätze, musste sie schon nicht wenig Kritik einstecken. 

Was tun?

Wenn ich etwas beobachte, was in meinen Augen ganz offensichtlich nicht Ordnung ist, spüre ich regelrecht, wie es in mir brodelt. Vor einigen Jahren reagierte ich noch recht impulsiv. Heute reagiere ich wesentlich durchdachter, merke aber wie ich innerlich zittere. Denn „Auf sie mit Gebrüll“, um den Stärkeren zu markieren, hilft in den seltensten Fällen. Also einmal tief durchatmen und selbst zur Ruhe kommen. Denn nur mit einem kühlen Kopf lassen sich Situationen objektiv einschätzen und besonnen entschärfen. Wird ein Tier also schlecht behandelt, sollte zuallererst der Dialog mit dem Verantwortliche selbst gesucht werden. Freundlich, aber bestimmt lässt sich der wohlgemeinte Hinweis auf das Fehlverhalten leiten. Vielleicht kann die Situation dadurch aufgeklärt werden, ohne die Fronten unnötig zu verhärten. Es ist ja durchaus möglich, dass der Tierhalter in diesem Moment einfach überfordert ist und Hilfe braucht oder vielleicht auch aus Unwissenheit handelt.

Die Lage einschätzen und Beweise sichern

Die Realität zeigt sich jedoch häufig anders. In der Eile des Gefechts wird oft zuerst das Tier aus seiner Notlage gerettet. (Würde ich auch nicht anders machen.) Aber ohne eine ausreichende Dokumentation des Umstandes können Veterinärämter nicht tätig werden! 

  • Beweise durch Bilder oder  Filme sind unabdingbar. Die Handyqualität ist dafür sogar ausreichend. Wichtig: Nie Beweismaterial ohne Kopie aus der Hand geben! 
  • Mindestens einen und möglichst unabhängige Zeugen mitnehmen, der auch gegebenenfalls durch eine eidesstattliche Versicherung über das Geschehen unterstützt. Je mehr Zeugen sich beim Veterinäramt melden, desto besser.
  • Alle relevante Infos (wie betroffene Tierart, vermutlicher Verstoß, Ort des Geschehens, genaue Uhrzeit, Kfz-Kennzeichen, Namen und Anschriften) festhalten. 
  • Wenn das Tier ärztliche Hilfe benötigt, so schnell wie möglich  einen tierärztlichen Notdienst verständigen, der einerseits die Erstversorgung des Tieres übernimmt, aber auch ein wichtiger Zeuge wird.

Diese gesamten Informationen müssen dann schriftlich oder am besten/schnellsten per Mail beim örtlich zuständigen Veterinäramt eingereicht werden. Nach §16a Tierschutzgesetz sind Amtstierärzte verpflichtet, gegen tierschutzrechtswidrige Handlungen und Zustände vorzugehen. Es gibt hier kein Entschließungsermessen. Amtsveterinäre müssen also immer ins Handeln kommen,  wenn in ihrem Zuständigkeitsbereich Verstöße gegen Tierschutzrecht begangen wurden, noch werden oder bevorstehen. Denn nur sie sind in ihrer Funktion berechtigt, die Tierhaltung zu kontrollieren und gegebenenfalls Auflagen zu erteilen. Bleiben sie zum Beispiel untätig, können sie selbst Straftaten i.S.d. §17 TierSchG durch Unterlassen begehen.

Hier zeigt sich der wesentliche Unterschied zu den Tierschutzvereinen: Die privaten Vereine verfügen über keinerlei polizeiliche Kompetenzen. So kann ein Tierschutzverein vielleicht darüber beraten, was erlaubt oder verboten ist und auch die Adressen der zuständigen Ämter weiterleiten, aber darf nicht tätig werden.

In akuten Notsituationen oder eindeutigen Fällen von Tierquälerei kann außerdem Strafanzeige bei der Polizei oder bei der Staatsanwaltschaft gestellt werden. Vielfach wird zudem Tierleid im Internet gemeldet. Mittlerweile verfügen alle großen Portale wie ebay, Youtube oder Facebook über eine Funktion, mit der Seiten und Inhalte sofort gemeldet werden und die Portalbetreiber relativ schnell reagieren können.

Trotz der vorhandenen Möglichkeiten, Tierleid zu melden, nehme ich sehr häufig einen Unmut wahr. Viele vertrauen den Mechanismen nicht und werfen zum Beispiel dem Veterinäramt vor, gar nicht tätig zu werden, da es vom Amt keine Rückmeldung zu den einzelnen Fällen gibt. Dafür gibt es aber eine ganz einfache Erklärung: Aus Datenschutzgründen darf das Veterinäramt keine Auskünfte geben und Details zum Sachstand weiterreichen. Hier ist das Vertrauen der Tierschützer gefragt, dass die Fälle beim Amt in sorgsamen Händen sind – auch wenn die Mühlen manchmal langsam zu mahlen scheinen. Gut gemeinte Selbstjustiz wie die eigenmächtige Entziehung von Tieren ist nicht der richtige Lösungsweg, wie aktuell bei der verschwundenen Kira aus dem Friedrichshain. Vor fast einem Jahr verschwand die damals 10jährige Mischlingsdame aus einem Restaurant.  Der Fall ist ziemlich verstrickt und eine heiße Spur gibt es bis heute nicht. Nach Aussagen wurde die Hündin anscheinend von einer Gruppe Frauen mitgenommen, die zuvor mit der Halterin eine Meinungsverschiedenheit hatten. Nach einiger Zeit erhielt die Tierrettung Potsdam wohl ein anynomes Bekennerschreiben über die Gründe der Wegnahme der Hündin. Das Tier wurde „privat“ entwendet, ohne zuvor Veterinäramt oder Polizei einzuschalten.

Was bleibt?

Eine Halterin, die verzweifelt ihre Hündin sucht, und eine Tierschutzaktion mit bitterem Beigeschmack.

Tierschutz geht uns alle an, denn Tiere können sich nicht selbst helfen oder sich schlimmen Situationen entziehen. Doch Kopflosigkeit und Selbstjustiz bringen niemanden weiter. Ich würde mir wünschen, dass es vielmehr Anlaufstellen gibt, die über Umgang, die Haltung und der Verantwortung gegenüber Tieren aufklären, schulen und natürlich auch – wie bei Familienzentren – Unterstützung geben, wenn Halter überfordert sind und nicht weiter wissen.