Vollzeitpfoten

Weggeh-Training: Ein Pudel lernt Geduld

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Wie schnell ein gut geglaubtes Kartenhaus zusammenfallen kann oder eine vermeintlich funktionierende Routine zur nächsten, ernsthaften Baustelle wird, zeigte mir vor ein paar Tagen eine zufällige Begegnung mit einem Nachbarn.

Gut gelaunt kam ich abends von einem kleinen Redaktionsmeeting und wähnte den Pudel friedlich zu Hause. Als ich mich wie immer unten an der Haustür eine angenehme Stille empfing und auch an der Wohnungstür nichts verdächtiges zu hören war, machte mir eine nett gemeinte Frage des Nachbarn einen gehörigen Strich durch die Rechnung: „Sag mal, hast Du einen Hund?“ Ich bejahte. „Ist Dir bewusst, dass Dein Hund stundenlang heult?“ Mir fiel buchstäblich die Kinnlade runter. Niko und ich verbringen sehr viel gemeinsame Zeit am Tag, ob im Büro unter der Woche, abends oder am Wochenende. Aber es gibt es auch hin und mal wieder Momente, bei denen der Pudel zu Hause einfach besser aufgehoben ist. Denn auch ich muss mal einkaufen, zum Arzt, auf eine Stippvisite oder schlichtweg auf einen Kaffee mit Freunden oder ins Kino. Manchmal ist es im Sommer auch einfach zu heiß für den Pudelpelz oder der nächste Schneesturm lässt nicht lange auf sich warten. Die letzten anderthalb Jahre habe ich darauf hingearbeitet, Niko für ein paar kleine Stunden allein zu Hause zu lassen. Bisher war ich auch guter Dinge: Mit Knabberspaß bei Film oder Radio schlich ich immer mal wieder außer Haus.

Die Frage meines Nachbarn ließ mir keine Ruhe. Konnte es wirklich Niko sein oder war vielleicht doch ein anderer Fellfreund im Haus der Störenfried. Immerhin machte er bisher immer einen freudigen, aber auch entspannten Eindruck beim Nachhausekommen.

Auf Lauerstellung im Büro

Beim nächsten Termin wollte ich das mal testen – via Kamera App und Telefon. Die erste Stunde war alles ruhig. Kein Wunder, denn Niko war noch mit seinem Leckerbissen beschäftigt. Kurz zum Termin und wieder rein in die Tram nach Hause. Ein Check der Kamera und mein Herz blieb fast stehen. Im Minutentakt erklang Wolfsgeheul in meiner Wohnung. Nach drei Minuten hatten meine Ohren genug und ich schaltete verschämt die App aus. Zu Hause das Gleiche wie immer: friedliche Stille im Hausflur und ein freudiger Pudel am Empfang.

Was hatte ich also falsch gemacht?

Ganz unbewusst haben sich so einige Schnitzer in unseren Alltag geschlichen und damit unser Mensch-Hund-Team gehörig außer Balance gebracht. Wenn ich mal so einen ganz normalen Tag Revue passieren lasse, fallen mir tatsächlich ganz schnell einige Optimierungspunkte ein:

* Manchmal gebe ich Niko während des Esens etwas ab, sei es ein Stück trockenes Brötchen oder ein Stück Apfel.

* Besonders abends esse ich erst, nachdem ich Niko gefüttert habe.

* Ziemlich häufig ertappe ich mich dabei, zum Körbchen zu schleichen, durch seine Locken zu fahren und sein Bäuchlein zu kraulen. Denn wer kann schon so einfach diesem Pudelschnäuzchen widerstehen?

* Ich reagiere grundsätzlich darauf, wenn er mich anstubst, sich während der Arbeit an meinen Schoß hängt oder sich ganz bewusst an die äußerste Ecke des Bettes klemmt, damit ich aus Höflichkeit ein wenig zur Seite rücke.

Eigentlich habe ich nicht das Gefühl, den Pudel permanent mit Monologen zu bombadieren, aber anscheinend ist es doch viel zu viel – von mir (natürlich als Hauptübeltäter), aber auch bei meinen Kollegen und im Freundeskreis.

Spurensuche – Angsthase oder Kontrolletti?

Uh, das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Niko zeigt nämlich sowohl für Trennungsangst als auch für Kontrollverlust relevante Symptome: Ist er allein zu Hause und das Leckerli vertilgt, wird gejault und gebellt wie ein ganzes Rudel Wölfe. Zum Glück macht er nichts kaputt, sondern wühlt höchstens ein bisschen durchs Bett. Komme ich nach Hause, werde ich schwanzwedelnd empfangen und angesprungen aka (in Kennerkreisen) gemaßregelt. Auf mich machte er bisher aber keinen gestressten Eindruck. Keine Hechelflecken auf dem Boden und normale Körpertemperatur. Anders sieht es aus, sobald ich im Büro den Schlüssel in den Hand nehme oder die Jacke anziehe. Sofort schreckt er hoch und beobachtet jede meiner Bewegungen. So ganz einfach ist die Trennung also nicht, aber mein Bauchgefühl deutet eher zum Kontrollverlust, denn an gesundem Selbstbewusstsein mangelt es dem Pudel nicht.

Challenge 1: Konsequenz und Souveränität

In jedem Rudel gibt es nur einen Chef, der seine Truppe zusammenhält. Wir Menschen neigen aber häufig dazu, Hunde und ihr Verhalten zu sehr zu vermenschlichen. Aber: Was für uns Menschen noch total okay ist, ist für den Hund vielleicht überhaupt nicht nachvollziehbar und ein absolutes no-go. Bestes Beispiel (natürlich wieder von mir): Manchmal legt sich Niko zu mir. In den letzten Wochen hatte er sich angewöhnt, sich dabei immer auf die ganz äußerste Bettkante zu legen – nicht nur offensichtlich unbequem, sondern auch kurz vorm Rausfallen. Aus Besorgnis und Höflichkeit (und ja, ich habe leider nicht um die Ecke gedacht), habe ich ihm Platz gemacht, den er natürlich sofort und liebend gern eingenommen hat. Mit dieser für mich kleinen Geste habe ich mich selbst in der Rangordnung um einige Positionen nach unten befördert. Denn welcher Rudelchef rollt sich schon zur Seite? 1:0 für den Pudel!

Hunde verhalten sich nur in einer intakten und gefestigten Rudelstruktur mit einer klaren Hierarchie so, wie wir es uns wünschen. Um unsere momentane Disharmonie wieder ins Lot zu bringen, gibt es also nur einen Weg: Ich muss immer und in jeder Situation als souveräner Rudelchef glänzen, damit sich Niko geschützt, sicher und in einem stabilen Umfeld fühlt. 2:0 für den Pudel und für mich ein ordentlicher Berg Hausaufgaben.

Challenge 2: Aufmerksamkeit runterschrauben

Einfach mal in Ruhe lassen und nicht auf die charmante Aufmerksamkeits-Hascherei eingehen. Was so einfach klingt und die Basis unseres Trainings ist, ist gar nicht so einfach. Meistens ist es ja ganz lustig, wenn er gelangweilt seinen Kopf auf meine Knie legt, um mich zum Gehen zu animieren, oder mit der Pfote an meiner Seite kratzt oder mich auffordernd anspringt. Nein, nein, nein – ich muss konsequent bleiben und darf ihm im Umkehrschluß auch nicht mit Schmusereien und Streicheleinheiten überschütten. Los ging’s dann direkt am Samstag und bereits nach kurzer Zeit war auch bei Niko der andere Wind angekommen.
Was wir am Verhalten unserer Fellfreunde entdecken, ist längst nicht alles, was tatsächlich im Hund selbst vorgeht. Bevor es für uns überhaupt sichtbar wird, finden bereits auf unsichtbarer Ebene Veränderungen statt, die sein Verhalten beeinflussen: Erregungsniveau und Emotionen. Auch bei uns ein schleichender Prozess: Es wird an der Leine gezerrt, übertrieben markiert, permanent die Aufmerksamkeit gesucht und draußen grundsätzlich das eigene Ding durchgezogen. Das Gleiche mit den Emotionen! Niko reagiert äußerst schnell auf hohe Stimmen mit überschwänglichem Verhalten. Ganz deutlich zeigt sich das im Umgang mit meiner Kollegin Ciani, in die er nicht nur heimlich, sondern ganz offensichtlich verliebt ist. Beide können sich innerhalb weniger Sekunden so richtig hochpushen. Nikos Energielevel ist dann quasi auf Anschlag und damit genau das Gegenteil, was ich für das Weggehtraining erreichen will.

Sehr viele dieser Verhaltensweisen, die wir als problematisch empfinden, resultieren also aus einem zu hohen Erregungsniveau oder werden dadurch weiter verschlimmert. Je höher das Niveau nun ist, desto eher reagiert der Hund auf Umweltreize und desto stärker fallen seine Verhaltensreaktionen aus.
Tag 1 im Büro – normalerweise ist Niko gewohnt, während der Team-Meetings allein zu sein. Da wir aber nun wieder im Training sind und alles quasi auf Null ist, wollte ich während des Meetings mal Mäuschen spielen. Die Audioaufnahme lief eine knappe Stunde – mit dem Resultat: durchgefallen. Zwar nicht so heftig wie am Wochenende, dennoch zu häufig und zu laut.
Logische Konsequenz: Niko muss erstmal wieder zur Ruhe kommen und lernen, sich auch mal richtig zu langweilen. Das gelingt uns (mittlerweile) ganz gut. Was ich am Wochenende quasi bereits angefangen hatte, musste nun auch im Büro strikt durchgezogen werden. Das Schlawinern des Pudels ignorieren, ihn erst zu begrüßen, wenn er sich runtergefahren hat und ihn auf seinen Platz schicken. Der erste Tag war für uns alle recht ungewohnt, aber bereits am Dienstag zeigten sich erste spürbare Erfolge: Die morgendliche Begrüßung fiel schon viel ruhiger aus und fast den gesamten Tag blieb Niko auf seinem Platz, ohne die Kollegen anzubetteln oder Taschenkontrollen zu machen. Super! Heute morgen habe ich gleich die Probe aufs Exempel gewagt – ich war morgens kurz beim Bäcker, ganze 12 Minuten lang. Die Audioaufnahme lief mit und bis auf 2-3 kleine Fieper war nichts zu hören. Das war am Montag noch ganz anders!

Challenge 3: Stresstest – Allein zu Haus

Das Alleinsein zu üben, sollte schon so früh wie möglich begonnen werden! Im Grunde kann es Niko auch. Dieses Mal probiere ich zusätzlich eine andere Methode aus: Ich gebe ihm in der Wohnung weniger Freiräume. Normalerweise darf sich Niko in jedem Zimmer, bis auf das Bad, frei bewegen – auch wenn ich nicht zu Hause bin. Jetzt trainiere ich mich mit ihm, dass es für ihn zur Gewohnheit wird, nur im Wohnzimmer zu sein, während ich in anderem Räumen beschäftigt bin. Meine Glastüren sind da ziemlich nützlich. So kann ich ganz genau sehen, ob und wie lange Niko hinter der geschlossenen Tür steht. Ist es ihm zu langweilig geworden und er hat sich abgelegt, gehe ich wortlos rein und habe „irgendetwas“ im Wohnzimmer zu tun, um es danach wieder zu verlassen und die Tür zu schließen. Ähnlich zelebriere ich es auch auf der Arbeit: Ich nehme Niko nicht mehr mit zu kleineren Teambesprechungen im Nebenraum. Er soll dann auf seinem Platz bleiben und muss lernen, sich während dieser Zeit zu entspannen. Bisher klappt das auch ganz gut und wird natürlich auch mit besonderen Leckerchen belohnt.

Zu Hause und morgens im Büro, wenn noch niemand da ist, arbeiten wir zusätzlich an den Triggern wie Schlüssel klappern und Jacke anziehen. Schon nach ein paar Einheiten mit den Schlüsseln war Niko sichtlich gelangweilt und hob schon gar nicht mehr seinen Kopf. Ganz anders bei der Jacke – aus dem vermeintlichen Schläfer mutierte innerhalb von Sekunden ein Erdmännchen. Anscheinend löst die Jacke bei Niko das größte Stress-Symptom aus und wird nun mit extra-Runden geübt: Jacke in die Hand nehmen und umherlaufen und wieder hinsetzen; Jacke anziehen und nebenan aufs Sofa setzen; Jacke wieder ausziehen und dann gleich wieder anziehen; zwischendurch die Zeitung lesen. Meiner Kreativität ist quasi keine Grenzen gesetzt 😉

Und da wir gerade so gut im Flow sind, steigere ich das Weggehtraining schon jetzt peu à peu: 3-mal täglich für 15 Minuten, immer mit dabei die Audioaufzeichnung, damit ich ganz genau nachvollziehen kann, ab wann Niko anfängt unruhig zu werden und wie sich das in seinem Verhalten äußert. Verlasse ich den Raum oder die Wohnung, schicke ich ihn auf den Platz und gebe ihm unser altes Signal „Bleib“. Komme ich wieder, schließe ich die Tür auf und gehe wortlos an ihm vorbei. Keine Begrüßung, kein Kraulen und konsequentes Wegdrehen, sobald er anfängt, mich anzuspringen. Und Surprise, Surprise: Bereits am zweiten Tag gab es an der Tür kein wildes Durcheinander und Anspringen mehr. Sobald er zur Ruhe gekommen ist und sich wieder von allein auf seinem Platz gelegt hat, bekommt der Pudel einen liebevollen Bauchkrauler und eine leckere Überraschung.

Ich bin wirklich begeistert und habe auch das Gefühl, dass es Niko gut tut, wieder seinen Platz zu finden.

 

Geduld, Geduld, Geduld!

Unsere Fellfreunde sind Gewohnheitstiere und lernen sehr schnell. Wie schnell, kann ich gerade nur staunend an Niko beobachten. Ohne Frage haben wir beide noch einen längeren Weg vor uns, denn weder er noch ich sind Maschinen und jeder Tag gestaltet sich anders. Aber die bereits jetzt sichtbaren Erfolge machen mir Mut und zeigen deutlich, wie stark sich mein Verhalten auf seins auswirkt und wie sehr ich mich disziplinieren muss, damit Niko auch Hund sein kann.