Im Gespräch mit Sabrina Jaap von TENETRIO
An einem heißen Vormittag im August spuckt uns die Regionalbahn am Bahnhof Potsdam-Rehbrücke aus. Von dort aus soll es nur ein kurzer Fußweg sein – zum IGV Institut für Getreideverarbeitung in Nuthetal. Neugierig lasse ich meine Blicke links und rechts schweifen, um das Hinweisschild nicht zu verpassen. So stehen wir tatsächlich nach wenigen Minuten auf dem großzügigen Gelände und treffen Sabrina, Katrin und Ina von TENETRIO, um der Frage auf die Spur zu gehen, ob Insekten heute die bessere und gesündere Wahl im Hundefutter sein können.
Schon gewusst? Mars und Nestlé halten 20 Prozent des Heimtierfuttermarktes.
Gegründet hat sich das Trio offiziell in 2017 aus einem Forschungsprojekt der Universität Potsdam heraus. Sabrina und Katrin kennen sich bereits seit Kindertagen. Ina und Katrin wiederum von ihrer gemeinsamen Forschung als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Ernährungswissenschaften. Auf ihren Reisen quer durch Asien und Afrika haben beide die exotische Kulinarik mit Insekten kennengelernt und waren fasziniert, wie viel Gutes in diesen steckt. „Für die Mehrheit der Menschen sind Insekten komische, krabbelnde Tierchen, die man nicht gerne um sich hat. Für uns sind Insekten alles andere als Schädlinge. Wir wollen darauf aufmerksam machen, welche positiven Eigenschaften in ihnen stecken”, erzählt Sabrina. “Die Idee haben wir lange in uns herumgetragen. Etwas mit Ernährung sollte es sein. Entweder im Humanbereich oder für Nutz- und Heimtiere. Durch verschiedene Reglementierungen hatten wir allerdings wenig Spielraum.”
Hundefutter ist mindestens genauso so sicher wie Babynahrung – vom Packaging als auch in der Produktion.
Im September 2016 stellten die Drei ihren Businessplan fertig und bekamen das Exist-Gründerstipendium von der Universität Potsdam. Ab da ging alles recht schnell – musste es tatsächlich auch. Denn nur mit der Gründung eines Unternehmens konnten sie die notwendigen Zertifikate und Zulassungen erhalten, um ihre Produkte auch tatsächlich verkaufen zu können. Zu diesem Zeitpunkt mit an Bord und wertvoller Mentor: der Vizepräsident der Uni Potsdam, der als Veterinär gut unterstützen konnte. So sind unter anderem die Vorschriften für Hundefutter ebenso so streng geregelt wie vergleichsweise für Babynahrung. Die Futtermittelhygiene-Verordnung sieht eine räumlich separierte Abfüllung der Produkte vor. Und in der Verordnung über tierische Nebenprodukte finden sich Vorgaben, wie eine Zucht überhaupt auszusehen hat.
Im Angebot für Hundefutter gibt es teilweise noch erhebliche Missstände: Zucker, jede Menge Füllstoffe, Aromen und Konservierungsstoffe oder andere tierische Nebenprodukte. Für Halter*innen ist es nicht immer einfach, die Deklarationen eindeutig zu lesen. Heute hinterfragen sehr viel mehr Menschen, was bei ihrem Haustier im Napf landet: Wieviel Fleisch ist wirklich im Produkt enthalten? Und wie viel Füllstoff? Woher kommen die einzelnen Zutaten? Sind vielleicht Spuren im Futter enthalten, die bei meinem Hund eine allergische Reaktion auslösen? Wie werden die Produkte eigentlich hergestellt? Ist da, wo “bio” draufsteht auch wirklich “bio” drin?
Nicht einmal die Hälfte des Körpers eines Rindes können für die Futterherstellung verwendet werden. Von einem Mehlwurm hingegen 100 Prozent! Wieviel Ressourcen durch den Umstieg von herkömmlichen Nutztieren auf insektenbasierte Futtermittel eingespart werden können, zeigt sehr anschaulich diese Infografik von TENETRIO.
„Als wir gestartet sind, begleiteten uns viele Meinungen, Vorurteile und vor allem Skepsis gegenüber Insekten als Zutat. Das hat sich mittlerweile spürbar verändert. Vielmehr erreichen uns Nachfragen, inwieweit Hunde adäquat mit Futter aus Insekten versorgt werden können. Kohlenhydrate sind auch immer wieder Thema. Warum verwenden wir zum Beispiel Kartoffeln und Reis in unseren Pops. Dabei sind die Pops nicht als Alleinfuttermittel gedacht und Hunde können ja nicht nur allein mit Proteinen gefüttert werden“, erinnert sich Sabrina. Zweieinhalb Jahre später leisten Ina, Katrin und Sabrina noch immer viel Aufklärungsarbeit. Insekten sind zwar nicht mehr ganz so exotisch, dennoch sind viele unsicher, inwieweit Futter aus Insekten von ihren Vierbeiner überhaupt angenommen wird und ob es nicht doch zu Mangelerscheinungen kommen kann. Parallel gewinnen funktionale Produkte an Nachfrage – für glänzendes Fell, gesunde Zähne oder zur gezielten Unterstützung der Darmgesundheit.
Aber auch ethisches Tierwohl und die Sache mit dem Antibiotika sind Gedanken, die auch ich mir regelmäßig mache, wenn ich die Frischfleischrationen für Niko einkaufe. Denn wie soll ich eindeutig nachvollziehen können, woher Muskelfleisch, Pansen & Co. kommen, wenn die BARF-Shops über einen Großhändler beziehen?
“Wir werden im Humanbereich nie das Steak ersetzen und wollen auch im Hundebereich nie das komplette Futterangebot ersetzen. Das Futter sollte immer ausgewogen als auch abwechslungsreich sein. Leidet ein Hund unter Krankheiten oder Unverträglichkeiten, ist die Auswahl geeigneter Futtermittel natürlich eingeschränkter. Insekten können hier eine sinnvolle Futterergänzung sein. Das Allergierisiko, dass der Hund auf Insekten anspringt, ist gering, weil es noch eine neue Proteinquelle ist”, erklärt Sabrina. “Aber auch da können sich irgendwann Allergene entwickeln, wenn es nur noch ausschließlich dieses Futter gibt. Sind Hunde zum Beispiel allergisch auf Schalentiere, kann es durchaus zu Kreuzreaktionen auf Mehlwürmer kommen. Das ist nicht ausgeschlossen. Wir verstehen uns als Angebot, mit unseren Produkten eine alternative Möglichkeit zu schaffen. Unsere Produkte sind rein natürlich, ohne Zusatzstoffe und bauen sich nach dem Clean Feeding Konzept auf.”
Mit welchem Insekt wir am Anfang arbeiten wollten, war eine relativ pragmatische Entscheidung. Im Bereich Entomophagie (Verzehr von Insekten) – sowohl im tierischen als auch in der Humanernährung - gibt es momentan die großen Fünf, die eingesetzt werden: Mehlwurm, Buffalowurm, Grille, Heuschrecke und die schwarze Soldatenfliegenlarve.
“Perspektivisch passte der Mehlwurm am besten zu unseren Gegebenheiten. Heuschrecken zum Beispiel benötigen sehr viel Platz und sind sehr beweglich. Grillen ebenfalls. Zum damaligen Zeitpunkt waren diese Anforderungen für uns nicht wirklich praktikabel. Zwar unterscheiden sich die fünf Arten von den Nährwerten – so hat die Grille etwas mehr Protein als der Mehlwurm. Doch unterm Strich sind alle sehr ähnlich.”
Fun Fact: Der Name TENETRIO leitet sich von Tenebrio molitor (lateinisch für Mehlkäfer) ab, was aber nicht ausschließt dass das Sortiment nicht irgendwann auch um Produkte aus Grillen erweitert wird.
Unterstützen Produkte aus Mehlwürmern nicht auch in gewisser Weise die Massentierhaltung?
Eine Frage, der ich längere Zeit nachhing. Tatsächlich nicht. Denn von ihrer Biologie her leben Würmer in Kolonien. Dadurch dass sie wechselwarme Tiere sind, bekommen sie auch Wärme aus ihrer Umgebung. Sie brauchen also Nähe um zu überleben. Allerdings dürfen die Kolonien nicht zu groß werden. Es entwickeln sich dann Hitze-Zentren, die Tiere sterben lassen.
Für die Zucht werden spezielle Wannen genutzt. Dabei dürfen die Kolonien nicht zu groß und auch räumlich voneinander getrennt werden. Ernährt werden die Würmer mit einem Mehlmix, der sich aus speziellen Zutaten für eine optimale Nährstoffversorgung zusammensetzt. Und dazu freuen sich die Würmer über Äpfel und Möhren in Bio-Qualität.
Auch das Antibiotika-Bedenken lässt sich bei Mehlwürmern relativ leicht entkräften. Ihr Organismus ist einfach aufgebaut. Natürlich können unter den Würmern auch Krankheiten auftreten, die sich aber über Generationen hinweg ausmerzen lassen, wie mir Sabrina erklärt.
Der eigentliche Zuchtprozess dauert circa 16 Wochen. Aus den abgelegten Eiern entwickeln sich Larven (die Mehlwürmer), die sich nach einer gewissen Zeit verpuppen und aus den Puppen schlüpfen dann wiederum die Käfer. “Die verschiedenen Stadien müssen voneinander getrennt werden. Das war mitunter sehr zeitaufwendig. Ansonsten würden sich Käfer und Würmer gegenseitig kannibalisieren. So frisst der Käfer gerne mal die Puppen an; und auch Mehlwürmer entwickeln einen Appetit auf sich selbst. Das Ganze zu automatisieren war der nächste logische Schritt, um die Produktion weiter auszubauen. Hierfür gibt es verschiedene Technologien über optische Erkennung zum Beispiel. Damit lässt sich viel schneller erkennen, ob ein Wurm tot oder lebend ist, oder ob sich aus dem Wurm schon eine Puppe entwickelt hat. Der Prozess an sich ist super spannend, lässt sich aber nicht von heute auf morgen umsetzen.”
Bei unserem ersten Besuch haben die Drei ihre Zucht noch selbst per Hand betrieben. Dafür haben sie die Würmer im kleinen Stadium dazugekauft und dann über die Wochen aufgezogen. Haben die Würmer eine gewisse Größe erreicht bzw. stehen sie kurz vor der Verpuppung, werden sie für die Verarbeitung in den Winterschlaf geschickt.
Für die Herstellung des Futters verarbeitet TENETRIO die Würmer frisch. Diese werden eingefroren – das ist auch das schonendste Verfahren.
Und heute?
“In 2018 konnten wir unser erstes externes Investment gewinnen, das in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte geflossen ist. Das ist ressourcenintensiv. Mittlerweile kaufen wir die Rohstoffe zu. Denn die Zucht an sich bindet sehr viel Kapazität, die wir nicht mehr abdecken können. Uns ist allerdings wichtig, möglichst lokal zu produzieren.”
Als wir im August 2018 zum ersten Mal gesprochen haben, stand ebenfalls eine mögliche Bio-Zertifizierung der Zucht im Raum.
Warum (noch) nicht bio?
“Wir waren relativ lange an einer möglichen Zertifizierung dran. Ein DLG-Siegel, hatten wir damals auch entdeckt, womit einige andere Anbieter ebenfalls arbeiten. Momentan ist noch keins der beiden Ziele umgesetzt. Denn das ist tatsächlich gar nicht so einfach: Für ein Bio-Siegel ist der Anteil der Insekten zu hoch. 95 Prozent müssen für eine Auszeichnung aus biologischem Anbau kommen. Parallel ist die Zucht aber noch nicht zertifiziert. Der einzige Weg führte über das EU-Level. Mit einem avisierten Zeitraum von fünf Jahren und einer Investition von rund 20 TSD Euro war/ist das für uns gerade nicht abbildbar. Außerdem sind Bio-Siegel im Insektenbereich noch nicht ganz ausgereift.”
Tatsächlich müssen bei einer Bio-Zertifizierung der Zucht ebenso Analogien zum Beispiel zur Rinder- oder Schweinezucht geschafften werden. Eine Zertifizierung für Würmer gibt es EU-weit momentan noch nicht. Als nächsten Meilenstein will TENETRIO daher erst einmal auf Bio-Zutaten umsteigen. Nur so können sie wirklich wissen, was in ihren Rohstoffen drin ist und welchen Mehrwert sie für die Qualität aber auch für die Umwelt schaffen.
So wenig Zutaten wie möglich und so viele wie notwendig
Der Markt für Heimtiernahrung ist stark fragmentiert. Schon allein ein Blick auf Instagram offenbart eine Vielzahl an jungen Manufakturen, die ihre Nische suchen. Ina, Katrin und Sabrina sind mit TENETRIO angetreten, eine möglichst ökologische und natürliche Ernährung für Hunde anzubieten, die nicht nur zuverlässig die hungrigen Mägen füllt, sondern auch gesund unterstützt. Auf der Zutatenliste finden sich daher nur solche, die wirklich notwendig sind.
“Wir verwenden so wenig Zutaten wie möglich und so viele wie notwendig. Unter Umständen ist dies auch dem Produktionsprozess geschuldet. So braucht es einen gewissen Anteil an Stärke und Kohlenhydraten, um bestimmte Formen zu extrahieren. Wo wir können, verwenden wir nur sehr wenige Inhaltsstoffe – bei den Pops arbeiten wir je nach Sorte nur mit zwei oder drei Zutaten. Und gerade wenn es um Allergien geht, achten wir auf getreidefreie Inhaltsstoffe. Als gute Kohlenhydratquelle nutzen wir anstatt Weizen heimische Kartoffeln und Reis.“
Unverträglichkeiten, Allergien, Fettleibigkeit oder andere Krankheiten, die mit der Ernährung zusammenhängen, treten zunehmend unter unseren Vierbeinern auf. Als Alternative werden exotisches Fleisch von Straußen oder Känguruhs nachgefragt. Abgesehen vom ökologischen Fußabdruck eine ziemlich kostenintensive Ernährung. Insekten sind hier eine sehr gute Möglichkeit, gesund zu füttern. Prinzipiell sind die Proteinen der Insekten gleichwertig zum Rinderprotein. Unterschiede gibt es zum Beispiel nur in den Aminosäureketten. Doch nicht jeder Hund lässt sich gleich auf den Wurm ein. Von den Pops ließ sich Niko nicht überzeugen. Das liegt vielleicht daran, dass der Geruch der verarbeiteten Würmer – ohne jegliche Geschmacksverstärker wie Zucker oder Fett oder durch den Zusatz von Aromen – wesentlich schwächer ausfällt. Ich musste also ein bisschen tricksen, um ihn auf den Geschmack zu bringen.
Achtung Spoiler: Ja, es funktioniert!
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Der Markt ist alles andere als schnelllebig, resümiert Sabrina. Eingleisig mit den Pops gestartet, sind mittlerweile verschiedene Produkte von Keksen, Trockenfutter, Sticks und seit neuestem auch Nassfutter entstanden. Momentan arbeiten sie an nachhaltigeren Verpackungen. Komplett frei von Aluminium und Plastik sollen sie werden – je nach Festigkeit der Produkte kein einfaches Unterfangen.