Das Recht auf Leben – Gedanken zum Internationalen Tag des Versuchstieres

Ich bin ein Kopfschmerzmensch. Zu warm, zu wenig getrunken, Stress, nachts verlegen – mein Kopf ist um keine Ausrede verlegen, mich mit mal mehr oder weniger hämmernden Monotonie zu malträtieren. Vorgestern, gestern und auch heute machte sich also die eine und auch andere Ibu auf den Weg in meinen Kreislauf. Denn ohne geht es leider nicht. Hand aufs Herz – ich habe es wirklich oft genug probiert. Und immer mit dabei: mein schlechtes Gewissen. Wieviel Tierversuch steckt denn in meinen Tagesrettern? Eine Frage, die mir nicht nur heute in meinen Gedanken kreist. 

Heute ist der Internationale Tag des Versuchstieres. Allein in Deutschland fristen (Anm. Redaktion: in 2016, aktuellere und vor allem genauere Zahlen gibt es leider nicht, da der nächste Bericht mit einem transparenten Einblick erst 2019 veröffentlicht wird) über  2,8 Millionen Tiere ihr armseliges Leben in den Laboren. Letztes Jahr mutmaßte RTL sogar, dass alle 11 Sekunden ein Tier in den deutschen Forschungseinrichtungen sein Leben verliert! Hier geht es aber nicht nur um Medizin- und Kosmetika-Versuchsreihen, sondern auch zum Beispiel um den Einsatz sogenannter Pansenfisteln bei Rindern, um deren Effizienz weiter zu steigern und gleichzeitig Ausfälle durch Krankheiten zu reduzieren.  

Hinter den geschlossenen Türen

Entstanden ist dieser Gedenktag 1962 auf Initiative der britischen Tierrechtlerin Muriel Dowding. Er soll uns mahnen, das eigene, alltägliche Verhalten zu überdenken und insbesondere zu reflektieren, inwieweit wir selbst Produkte nutzen, für die Versuchstiere eingesetzt wurden. Das aktuelle Tierschutzgesetz definiert Tierversuche als jene Versuche an lebenden Tieren, die für diese mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sind. So ziemlich legal werden Tiere also in wissenschaftlichen Experimenten vergiftet, mit Krankheitserregern infiziert, massivem psychischen Stress als auch Futter-, Wasser- oder Schlafentzug ausgesetzt. In Versuchsreihen werden Haut und Augen verätzt, Gehirne nachhaltig geschädigt, ihre Körper operativ verstümmelt, verstrahlt, verbrannt, Stromschlägen ausgesetzt. Nach gegenwärtigen Schätzungen werden weltweit mindestens 100 Millionen Wirbeltiere für derartige Experimente „verwendet“ (ein Wort, das mir schlecht werden lässt, aber sehr gut die Perspektive der Menschen auf ihre Partner in diesem Ökosystem spiegelt). Besonders beliebt sind Mäuse, Ratten sowie Primaten. Aber auch in unserer Gesellschaft liebgewonnene Fellfreunde wie Hunde, Katzen oder Meerschweine können dem rastlosen Forschen der Menschheit nicht entkommen.

Vertretbare Notwendigkeit?

Dass noch nicht einmal mehr vor Artenschutz Halt gemacht wird, zeigt sich in dem gegenwärtigen Ansinnen einer Biologin der Freien Universität Berlin. Die Wissenschaftlerin plant ein Projekt, bei dem Nachtigallen Sonden ins Gehirn implantiert werden sollen. So will sie über den Gesang der Nachtigallen Erkenntnisse über menschlichen Autismus gewinnen. Das will die EU mit 1,5 Millionen Euro fördern. Ist das wirklich notwendig und sichert das menschliche Überleben auf diesem Planeten? Mittlerweile müssen sich damit auch der Berliner Senat und Bürgermeister Michael Müller auseinandersetzen. (Eine Petition auf change.org sowie weitere Hintergrundinfos gibt es hier.) 

Kein Geheimnis ist allerdings, dass die Versuchstiere oft während der Experimente sterben oder im Anschluss zur Erforschung etwaiger Organveränderungen etc. getötet werden. Interessante Fakten nennt hier Peta, basierend auf einem Interview mit dem Krebsforscher Dr. Irwin Bross: „Unzählige Studien haben gezeigt, dass Tierversuche nicht in der Lage sind, menschliche Reaktionen auf Krankheiten oder Medikamente präzise vorauszusagen. Manchmal versagen sie sogar zu über 25 Prozent. Sogar 92 Prozent aller neuen Medikamente fallen in klinischen Versuchen durch, nachdem sie in Tierversuche bestanden haben.“

Allein ist man machtlos?

Auf gar keinen Fall! Schon kleine Dinge im Alltag können in der Masse Großes bewirken und damit Wissenschaft, Forschung und auch Konzerne zu einem Umdenken zwingen bzw. den Weg für Alternativen öffnen. Bleiben wir mal bei meinen häufigen Kopfschmerzen – ohne Tabletten geht es bei mir nicht wirklich. Was kann ich also tun?

Medikamente ohne Tierversuche

Was bei Klamotten oder Essen schon relativ einfach funktioniert, nämlich ohne tierisches Dazutun auszukommen, ist hier leider nicht ganz so einfach. Denn damit ein Wirkstoff überhaupt für den Markt zugelassen werden kann, wurde dieser in Tierversuchen getestet. Bedeutet per se, dass jedes Medikament in seiner Historie irgendwann an Tieren getestet wurde. Die einzige Möglichkeit, die mir mit meinem ethischen Grundsatz bleibt, ist, auf sogenannte Generika zurückzugreifen. Generika sind Nachahmerpräparate von bereits auf dem Markt befindlichen Markenmedikamenten. Als Kopien dürfen sie 10 Jahre nach Zulassung des Originalpräparates eingeführt werden. Für diese Medikamente werden in der Regel keine erneuten Tierversuchen durchgeführt. Heute sind für fast alle gängigen Schmerzmittel Generika erhältlich. Ist jemand auf Nahrungsergänzungsmittel wie etwa Vitamin B12 angewiesen, sind sogar vegane Varianten im Angebot. Genaues Nachfragen in der Apotheke oder beim Arzt lohnt sich also!

Mit Deklarationen und Siegeln auf der sicheren Seite?

Genau genommen sind Tierversuche für Kosmetik- und Pflegeprodukte mittlerweile verboten. Seit März 2013 ist ein Gesetz in Kraft, das es Kosmetikunternehmen komplett verbietet, Tierversuche für ihre Produkte oder deren Inhaltsstoffe durchzuführen beziehungsweise in Auftrag zu geben und Produkte in der EU zu vermarkten, für deren Herstellung Tierversuche (auch im Ausland) stattfanden. VORSICHT: Grauzonen gibt es überall! Denn dieses Verkaufsverbot bezieht sich zum Beispiel nur auf Produkte, die nach Inkrafttreten des Gesetzes auf den Markt gekommen sind! Heißt also im Umkehrschluß, dass Produkte und Inhaltsstoffe, die VOR dem 11. März 2013 in Versuchsreihen getestet wurden, weiterhin für den Verkauf zulässig sind. Weitere Infos hier.

Marken werben unter anderem auch gerne mit Slogans wie das Produkt wurde nicht an Tieren getestet“ oder wir führen keine Tierversuche durch“. Viele einschlägigen Seiten warnen aber vor solchen pauschalisierten Aussagen als irreführend. Denn einzelne Inhaltsstoffe können sehr wohl an Tieren getestet worden sein, wenn die Hersteller externe Unternehmen für Tierversuche beauftragt haben. Weitaus größere Transparenz und Verlässlichkeit geben nur etablierte Siegel:

  • Das Siegel Leaping Bunny ist momentan das einzige Siegel, das international anerkannt ist. Es kennzeichnet Kosmetik ohne Tierversuche und wird von der Coalition for Consumer Information on Cosmetics vergeben, einem Netzwerk von acht Tierschutzorganisationen aus verschiedenen Ländern.
  • Die Richtlinien für das Siegel Hase mit der schützenden Hand wurde vom Deutschen Tierschutzbund in Kooperation mit dem Internationalen Herstellerverband für tierschutzgeprüfte Naturkosmetik, Kosmetik und Naturwaren e.V. entwickelt. Die Standards zur Vergabe des Siegels gehen über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus. 
  • Die Veganblume der Vegan Society umfasst gleichzeitig vegane und tierversuchsfreie Kosmetik. Sowohl das Produkt als auch seine Produktionsprozesse und Inhaltsstoffe müssen vegan und absolut tierversuchsfrei sein, um dieses Siegel tragen zu dürfen. Außerdem dürfen die Hersteller keine Tierversuche extern in Auftrag gegeben haben.

Hilfe für die Opfer

Ja, es gibt tatsächlich auf Überlebende, die den Laboren entkommen können und die Chance auf einen ruhigen Lebensabend haben. Über Facebook bin ich vor einiger Zeit auf die Initiative Hilfe für Labortiere Berlin e.V. aufmerksam geworden. Der kleine, gemeinnützige Verein versucht, soweit es die Kapazitäten zulassen, Labortiere aufzunehmen – von Hund, Hamster, Vögel, Schweine und Kaninchen ist (fast) alles dabei. Über die Vereinsseite können die Tiere adoptiert oder Patenschaften übernommen werden. Aber auch anderweitig lässt sich die Arbeit des Vereins unterstützen, sei es durch Sachspenden wie Futter, Körbchen oder Decken, verständnisvolle Pflegestellen oder Gassiservices für die Hunde. Schaut’ doch mal vorbei: labortiereberlin.de 

 

Bewusster Einkaufen

Die Sache mit den Lebensmitteln wird durch das stetig steigende Angebot nicht einfacher. Bei uns in der Agentur sind zum Beispiel Oreo Kekse der absolute Renner. Angefangen hat der kleine Hype durch eine ehemalige Kollegin, die sich vegan ernährt. Nun dürfen diese Kekse bei keiner Geburtstags- oder Abschiedsnascherei fehlen. Umso schockierter war ich gestern Abend, als nun gerade diese Kekse auf der Wer macht was?-Liste von Animals Liberty rot gelabelt sind, da die Tierschutz-Kriterien nicht erfüllt werden. Hoppala! Eine vegane Deklaration heißt also nicht automatisch, dass die Herstellung der Lebensmittel tierversuchsfrei ist. Tatsächlich werden von Backpulver und E-Stoffe über Fruchtsäfte bis hin zu Superfoods Tiere als Vorkoster – ich sage mal – mißbraucht. Auf der Seite vom Deutschen Tierschutzbund lässt sich unter anderem nachlesen, dass Chia Samen an Hühnern getestet wurden, um herauszufinden, ob sich der Verzehr auf die Fettzusammensetzung in den Eiern und im Fleisch auswirkt. Auf wenn das vermeintliche Futter vertragen wird, bleiben die wenigsten Tiere am Leben. Denn nur so lassen sich die Organe en detail untersuchen. 

 

Meine Erkenntnis zu diesem heutigen Tag: Tierversuche ziehen sich durch viele Facetten unseres Alltags – unsichtbar und unerwartet. Alle eventuellen Berührungspunkte mit tierischen Probanden aufzuspüren, ist mitunter sehr komplex und bedarf vieler Recherchen. Einige wie etwa Medikamente werden sich nie vermeiden lassen, denn die Basis aller Präparate führt immer wieder auf Tierversuche zurück. Dennoch ist mir eins wieder einmal klar geworden: Es sind die einfachen Dinge im Leben, die für uns alle am gesündesten sind. Statt zum Beispiel Fertigprodukte und Chemiebaukasten im Kochtopf, lieber regionale und natürliche Zutaten verwenden.

Interessante Links:
Silent Line Aktionstag: tag-zur-abschaffung-der-tierversuche.de
Peta – Übersicht tierversuchsfreie Kosmetik: kosmetik.peta.de
Ärzte gegen Tierversuche e.V.: aerzte-gegen-tierversuche.de
Deutscher Tierschutzbund: tierschutzbund.de