Tierschutz Close-Up: Projekt Löwenherz
Jorinde Leonhardt ist ziemlich beschäftigt. Als alleinerziehende Mutter eines Kleinkindes lebt sie mit fünf Hunden auf dem ländlichen Nirgendwo zwischen Berlin und Frankfurt (Oder). Ihr Tag ist exakt durchgetaktet. Sie ist ein Organisationstalent mit einem klaren Durchblick. Das merkt man ihr sofort an. Die Jorinde Leonhardt, der ich schon seit Jahren voller Bewunderung bei ihren Aktivitäten folge, enttäuscht mich also in diesem ersten persönlichen Gespräch nicht: klar, authentisch und ohne überflüssigen Schnick-Schnack.
Ihre Aufmerksamkeit gilt denen, die Hilfe benötigen – egal, ob Zwei- oder Vierbeiner. An diesem späten Abend, und zwar in der Schlafphase ihres Sohnes, gehört ihre Aufmerksamkeit nur mir. Und wir sprechen über unsere Erfahrungen im Tierschutz, die damit verbundene Sisyphos-Arbeit und warum man trotzdem nicht aufhören kann, zu helfen.
Seitdem sie 17 ist, setzt sich Jorinde für diejenigen ein, die sich selbst nicht mehr helfen können. Ich bin über den Berliner Tierschutz auf ihren Einsatz aufmerksam geworden – ihre Reise ist aber bereits viel länger. Unter anderem beim PCAS, einem ungarischen Hundehilfeverein, für den sie kurzzeitig die deutsche Seite verantwortet, über ihre Aktivität im LaGeSo in der Flüchtlingshilfe. In ihrer One-Woman-Show verdient sie ihre Brötchen als freie Art Direktorin und Texterin, macht Vorkontrollen und sucht Pflegestellen, teilt Spendenprojekte und ist eben auch Mutter und verantwortlich für eine fünfköpfige Hunde-Truppe. Doch bevor Jorinde ihr eigenes Herzensprojekt „Löwenherz“ startete, durchlebte sie ihre ganz persönliche Reise, um genau dort anzugelangen, wo sie heute ist. Ein Blick in ihre Welt verrät, wo sie die Herausforderungen im Tierschutz sieht und wie sie mit ihrem Löwenherz damit umgeht.
Die Wurzeln: Respekt vor Tieren von Kindesbeinen an
Können Hunde auch ohne Mensch glücklich sein? Ja, ist die klare Meinung von Jorinde. Denn Menschen neigen viel zu sehr dazu, alles mit Emotionen aufzuladen. Dabei braucht ein Hund nicht zwingend einen Menschen an seiner Seite. So können eben auch Straßenhunde ohne Menschen ein ziemlich ausgefülltes Leben führen. Worauf es also ankommt: Tieren gegenüber einen gesunden Respekt aufzubauen. Und das kann jeder, sollte jeder. Jorindes Mutter zum Beispiel konnte vor dem ersten vierbeinigen Familienmitglied, Oskar, nicht viel mit Hunden anfangen. Noch heute hat sie vor jedem neuen Hund in der Meute erst einmal Angst, schlägt sich aber tapfer und lässt sich auf die Vierbeiner ein. Trotz dieser Vorbehalte hat sie ihren Kindern von klein auf etwas Wichtiges beigebracht und damit auch den Grundstein für Jorindes Lebenseinstellung gelegt: der natürliche Respekt, den ein Mensch vor jedem Tier haben sollte. Wie etwa zuerst zu fragen, ob ein Tier den Kontakt überhaupt möchte. Und im Zweifelsfall, falls es diesen nicht möchte, das auch bedingungslos zu akzeptieren. Eine solche Sensibilität und Empathie kann auch ein Mensch seinem Kind beibringen, der nicht soviel mit Tieren am Hut hat.
Auf der Suche: die Wege von Projekt Löwenherz
Selbst die Ärmel hochkrempeln und anpacken ist typisch für Jorinde – sei es den Buddelkasten im Garten aufstellen oder vor Ort, wie in Ungarn, bei der täglichen Arbeit im Shelter zu unterstützen. Denn reines Vermitteln ist ihr einfach zu wenig. Nachhaltig bedeutet für sie, nicht nur etwas in dem Leben der Vierbeiner, sondern auch in den Köpfen der Menschen zu verändern. „Ich wollte Aufklärungsarbeit leisten und fühle mich tatsächlich auch wohler, wenn ich selbstständig, ohne festen Verein im Rücken agiere“, fasst sie entschieden ihre Erfahrungen zusammen. Mit einer Bekannten gründete sie gemeinsam das Projekt Löwenherz. Auch hier war schnell klar, dass dieser neue Weg nun auch ihr ganz persönlicher ist. „Das Wappen meiner Familie findet sich zum Beispiel im Logo wieder. Das Projekt ist über die Jahre ziemlich gewachsen und hat sich immer wieder verändert – eben so wie die Hilfe gebraucht wurde. Eine Zeit lang habe ich unter anderem einen Gnadenhof mit aufgebaut oder war in der Flüchtlingshilfe im Berliner LaGeSo aktiv“, erzählt sie weiter.
„Ich glaube, dass ich immer autark bleiben möchte.“
Zwar ist sie momentan mit zwei Tierschutz-Vereinen im Gespräch, aber nur auf Basis von Kooperationen und im Namen von Projekt Löwenherz.
Lernen aus der Krise: Warum es nötig ist, manchmal die Bremse ziehen muss
Mit dem Tiernetzwerk Europa, die auch in Berlin sitzen, steht sie im ständigen Kontakt. Hier und da wird sich gegenseitig unterstützt. Diese vertrauensvolle Verbindung gehört im sozialen Engagement eher zu einer Seltenheit. Denn oftmals arbeiten die Vereine, Organisationen oder losen Projektgruppen für sich allein. Wertvolle Synergien bleiben vielfach auf der Strecke, relativ viel Zeit geht in Auseinandersetzungen verloren. Und dabei ist gerade die Zeit einer der wichtigsten Faktoren, um wirklich etwas und auch schnell zu bewegen. „Ich versuche, mich da eigentlich überall rauszuhalten und schlage mich da auch nicht auf irgendeine Seite. Zum Beispiel arbeite ich mit zwei Projekten in Rumänien zusammen, die überhaupt nicht miteinander können, weil sie vor etlicher Zeit gemeinsam in einem Shelter gearbeitet haben“, erzählt sie weiter. Geht es auf gewissen Ebenen zu langsam, sollten bestimmte Schritte viel bedachter ablaufen. „Ein Tier vermittelt, noch ein Tier vermittelt. Im Akkord. Davon bekommen einige einen richtigen Glücksrausch. Du fühlst dich dann so gepusht, dass du gar nicht mehr aufhören kannst. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem viele umdenken und versuchen, nachhaltiger zu handeln“, erklärt Jorinde.
„Der Fluch des Internets – in nur zwei Klicks einen Hund adoptieren.“
Wie Fließbandarbeit muten so manche Vermittlungsaktionen an. Die Schnelligkeit im Internet, mit nur zwei Klicks einen Hund adoptieren zu können, lässt viele vorschnell handeln. Kombiniert mit der emotionalen Keule steigt auch der Zugzwang. „Man kann es den Adoptanten (in spe) deshalb manchmal gar nicht übel nehmen, dass sie kalte Füße bekommen und vom Hund wieder Abstand nehmen. Sie übernehmen sich schlichtweg und wurden im Vorfeld nicht ausreichend beraten. Da liegt ganz klar die Verantwortung bei den Vereinen!“
Ein e.V. allein ist noch kein Qualitätsgarant und verdient dementsprechend auch keinen Vertrauensvorschuss. Vieles zeigt sich beim ersten Kontakt. Wird etwa Wert drauf gelegt, dass der Fragebogen vollständig und sehr detailliert ausgefüllt ist? Sind Vor- und diverse Nachkontrollen vorgesehen? Wie sehr wird sich bemüht, dass der Hund optimal in sein neues Zuhause passt oder wird das Tier eher aufgedrängt? Viele Vereine bevorzugen Direktvermittlung, da der Weg über Pflegestellen unterm Strich wesentlich kostenintensiver ist. Tierarztkosten und auch die Adoptionsgebühren müssen erst einmal ausgelegt werden. „Das ist für mich aber kein Weg. Optimal ist es, wenn du eine Großpflegestelle hast, die viele Tiere betreut und auch den §11-Schein vorweisen kann“, macht Jorinde ihren Standpunkt klar.
Aufklärung bringt mehr Bewusstsein und Weitblick
Aus der aktiven Vermittlung wollte sie aussteigen – zu hoch die Frustation, Rechtfertigungen in Dauerschleife und die Erwartungshaltung der Adoptanten. „Direktvermittlung mache ich nicht mehr, sondern arbeite nur noch über Pflegestellen, weil die auch erfahren sind. Wenn ich Pflegehunde hatte, gab es am ersten Tag Leinentraining. Da werden die Neuen mit an das Rudel gehängt – dann gehen wir einmal durch und fertig. So läuft das auch auf den Pflegestellen. Hast du aber unerfahrene Leute, kann das die Entwicklung der Schützlinge um Monate zurückwerfen. Die Unsicherheit überträgt sich 1:1 auf den Hund und der Rattenschwanz nimmt seinen Lauf.“ Die Routine und ergo Erfahrung kommt wieder über die Zeit, die dann wiederum den Hund viel schneller in seinem neuen Leben ankommen lässt. Aber auch nach Jahren können Adoptanten aufgeben und als „Rückläufer“ geht der Hund zurück. „Mit 16 Wochen wurde ein Hund adoptiert. Nach knapp fünf Jahren wollte die Adoptantin ihren Hund wieder zurückgeben. Er müsse weg, weil er einen Knacks hätte. Wahrscheinlich hätte er wohl Schlimmes in seiner Welpenzeit erlebt. Auch eine Trainerin hätte ihr das bestätigt. Anstatt also zu reflektieren, ob der Zustand selbst verschuldet ist, wird die Ursache auf den Verein und das Klischee „Auslandshund“ geschoben.“
Individuelle Lebenskonzepte wiegt sie bei ihren Entscheidungen nicht auf. Jorinde horcht in ihren Gesprächen mit potentiellen Adoptanten auf, wenn es zum Beispiel um die Finanzierung der Lebenshaltungskosten für den Hund geht. Futter, Tierarztbesuche und Zubehör können schnell ins Geld gehen und besonders im Notfall sollte genug Geld vorhanden sein, um eine medizinische Versorgung zu ermöglichen. Oder auch der Weitblick, ob dem Vierbeiner ein gerechtes Zuhause geboten werden kann. In den Vorkontrollen ist sie daher eher streng und hat unter anderem auch einmal einer Familie kein grünes Licht geben. Diese hatte zuvor aus Mitleid eine hochträchtige Hündin aufgenommen und somit stand Welpenalarm ins Haus. Der neue Hund aus Ungarn hätte also gar keinen optimalen Platz zum Ankommen bekommen und auch das Risiko, dass die Familie am Ende überfordert ist, schien zu hoch. Doch nicht immer werden diese Entscheidungen auch objektiv angenommen.
Aber das Löwenherz ist einfach zu groß, dass sie ihre eigenen Prinzipen – nämlich nur mit Vereinen zu kooperieren, die sie persönlich kennt – über Bord geworfen hat. Ein kleiner Verein in Rumänien steht derzeit in ihrem Fokus. Ohne Hilfe von außen kämpft Georgiana vor Ort auf fast verlorenem Posten. Und die Arbeit in einem Shelter ist nicht zu unterschätzen!
Mein Gespräch mit Jorinde liegt schon ein paar Monate zurück und ihre Reise mit Projekt Löwenherz hat bereits einen neuen Weg eingeschlagen. Momentan plant sie ihren Umzug. Mit Kind und Hunden geht es im Frühjahr in die Prignitz. Dort wird ihr Projekt Löwenherz mit der SOS Hundehilfe Prignitz kooperieren und tatkräftig – in Handarbeit – beim Tierheim unterstützen. Unter anderem ist auch der Aufbau eines Gnadenhofs geplant. Auf ihrer Reise könnt ihr Jorinde hier begleiten oder schaut auch mal bei der SOS Hundehilfe Prignitz vorbei. Ich bin begeistert, von ihrer Entscheidung und den Mut, einfach einen neuen beziehungsweise anderen Weg zu gehen, um den eigenen Werten und Träumen noch näher zu kommen.