LebenMach’ ich morgen war gestern

Mach’ ich morgen war gestern

Seit über einem Monat steht nun das neue Kochbuch für Hunde in meinem Küchenregal. Als der Paketbote damals klingelte und ich die Büchersendung voller Erwartungen aufriss, war ich mehr als begeistert. Und zwar so sehr, dass ich unbedingt eine kleine Minitour durch das Buch für meine Kollegen drehen musste, inklusive Nahaufnahmen des Covers. Nun steht es in meinem Regal, in direkter Nachbarschaft zum Kokosöl, der angebrochenen Flasche Lachsöl und der großen Dose mit dem Grünlippmuschelpulver. Schon beim ersten Kaffee am Morgen spüre ich seine mahnenden Präsenz und den lachenden Schweinehund in der Ecke, sobald ich meine kleine Küche betrete. So oft habe ich mir vorgenommen, endlich einen auf Nikos Bedürfnisse angepassten Kochplan zu erstellen und entsprechend meine Einkäufe zu planen. In Gedanken sehe ich mich beim Schnibbeln und habe deutlich Spaß dabei. Doch die Realität sieht ganz anders aus: Im BARF Laden stehe ich vor der Theke und kaufe die uns vertrauten frischen Menüs ein. Einfach, schnell und vor allem wie immer.

Von der Küche geht es direkt in meinen Flur. Seit dem Frühjahr hängt hier eine Laufjacke – und mit ihr auf dem Bügel der Rest des Sportoutfits. Fein säuberlich und (natürlich) unbenutzt. Am Pudel liegt es nicht. Denn Niko hat ordentlich Hummeln in seinem Hintern und liebt es, zu laufen. Ein paar Runden durch den Volkspark oder am Wochenende im Wald hätten ihm bestimmt sehr gut gefallen. Laufpläne für Anfänger wurden gedruckt und schlummern seitdem in der Ablage. Erst war der Sommer viel zu heiß, dann der Endspurt, um das Bürohunde-Buch endlich fertig zu schreiben. Um Ausreden war ich wirklich nicht verlegen. Nun steht der Winter in den Startlöchern und unser neues Hobby in den kommenden Frühling verschoben. Schon irgendwie schade. Aber warum wundert mich das nicht?

Und wo ich schon beim Winter bin: Knapp drei Wochen bis Weihnachten und vor der Tür tobt die alljährliche Rabattschlacht. Gewinnspiele hier, (vermeintliche) Sonderangebote da und plötzlich werden Begehrlichkeiten geweckt, von denen wir gar nicht wussten. Dem kann auch ich mich nicht so leicht entziehen. Vor genau einem Jahr zog bei uns ein zweites Hundebett ein. Damals war ich schwer angetan von der kuscheligen Schlafhöhle in dem leuchtenden Blau – ein perfektes Pendant zum winterlichen Grau und für Niko eine tolle Rückzugsmöglichkeit, die ich im Büro aufstellen wollte. Dieser Euphorie konnte oder wollte Niko nicht so ganz folgen. Kaum ausgepackt und ein paar scheue Schnüffler später war sein Interesse quasi nicht mehr vorhanden. Ins Büro hat es die Kuschelhöhle also nicht geschafft und fristet seither ein einsames Dasein im Schlafzimmer.

Von den verlockenden Angeboten in den Bann gezogen, ertappte ich mich vor ein paar Tagen auf der Suche nach einem Pouf. Kuschelig, bequem und oben ohne – so wie es Niko offensichtlich gerne mag. Das „alte“ Bett sollte weg und möglichst schnell ein neues her. Gefühlt automatisch und selbstverständlich füllte sich also mein Warenkorb. Doch vor dem finalen Klick holte mich mein Kopf (zum Glück) wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Was soll denn jetzt schon wieder dieser Konsum, der eigentlich überhaupt nicht notwendig ist? Ein kurzes Suchen am Bettbezug brachte nämlich die Lösung. Durch einen Reißverschluss konnte ich ganz einfach die Schaumstoffkrone, die die Höhle aufspannte, entfernen. Aus der Höhle wurde im Handumdrehen ein gewöhnliches Bett – quasi mit Decke, wie bei einem Schlafsack. Schnell noch eine Kuscheldecke oben drauf und fertig war der Pouf. 200 Euro gespart und die Umwelt entlastet. Nochmal Glück gehabt!

Doch warum ist es so schwer, sich alten Mustern zu entziehen?

Gewohnheiten bestimmen unser Leben, ob wir nun wollen oder nicht. Sie lotsen uns ganz unbewusst durch den Alltag. Manchmal sind sie dabei eine große Hilfe, geben Struktur und Sicherheit. Manchmal sind sie einfach nur lästig wie ein ungebetener Gast und rauben dabei Zeit und Energie. Bestes Beispiel ist meine Morgenroutine – vom Dauer-Snoozen beim Aufstehen (der wirklich nervtötend ist), auf der Morgenrunde mit Niko bis zum ersten Chai Latte am Schreibtisch im Büro. Meine Handgriffe sitzen. Nachdenken muss ich nicht.

Gewohnheiten basieren meist auf Entscheidungen, die wir einmal bewusst getroffen haben.

Das meint unter anderem auch Bas Verplanken, Professor für Sozialpsychologie an der University of Bath in England. Allein zwischen 30 und 50 Prozent der täglichen Aktivitäten sind durch Gewohnheiten bestimmt, schlußfolgert er aus seinen Untersuchungen. Und das hat auch einen erheblichen Einfluss auf Niko. Er hat sich nämlich perfekt angepasst und kann anhand des jeweiligen Autopiloten abschätzen, ob es direkt von der Morgenrunde ins Büro geht oder wir im Homeoffice bleiben. Einen Haken hat die Sache aber schon: Denn unser innerlicher Autopilot kennt nämlich kein Richtig oder Falsch. Hier kommen die sogenannten Basalganglien ins Spiel. In einer Art Handlungsgedächtnis speichern diese Gehirnregionen alle Bewegungsmuster ab, die sich in der Vergangenheit als erfolgreich erwiesen haben. Die Basalganglien aktivieren gewohnte Muster, während sich der Rest des Gehirns quasi in den Ruhemodus zurückzieht. Eigentlich ein toller Trick zum Energiesparen, der mir allerdings bei meinen Koch- und Laufplänen immer wieder einen erheblichen Strich durch die Rechnung macht.

Hat sich also erst einmal etwas eingeschliffen, ist es sehr schwer, sich aus dieser Gewohnheit wieder zu befreien. Selbst wenn Wille und Motivation Überhand nehmen. Da helfen auch meine akkurat geführten Bucket Listen nicht. Vor allem nicht dann, wenn ich meine Pläne immer weiter von Liste zu Liste schleppe.

Mit dem Alter nehmen die Gewohnheiten sogar noch weiter zu.

Werde ich es also jemals schaffen, meinen Schweinehund auszutricksen? Und bleibt das tolle Kochbuch nur ein schönes Accessoire in meiner Küche? Ganz bestimmt nicht – die Lösung liegt im Beobachten!

Eine Schleife, die es in sich hat

Gewohnheiten laufen nach einem bestimmten Muster ab. Das war  mir tatsächlich neu. In verschiedenen Forschungsprojekten wurden nicht nur typische Situationen identifiziert, die ideal für einen Ausstieg aus dem Gewohnheitstrott sind, sondern auch parallel die Umstände herausgefiltert, die diesen Neustart in uns erschweren. Stress spielt hier unter anderem keine unwesentliche Rolle. Und schaue ich mir meinen gewohnten Tagesablauf unter der Woche an, bestätigen sich diese Gedanken. Zwischen Terminen, Deadlines, Verpflichtungen und Freizeit wirken insbesondere die Stresshormone Cortisol und Noradrenalin auf mein Frontalhirn und lassen mich wesentlich schlechter zielgerichtet denken und handeln. Und schon schaltet sich mein Autopilot ein. Denn die Hirnregionen, die für das Steuern der Gewohnheiten verantwortlich sind, bleiben von den Stresshormonen unabhängig. Kein Wunder also, dass ich abhetzt in den Feierabend noch schnell vor Ladenschluss zum Hundefleischer eile, damit ich beruhigt und zufrieden Nikos Futter zu Hause habe.

Aller Anfang ist schwer …

… und zuerst stellt sich die wichtige Frage: Muss ich zwingend etwas verändern? Welches Ziel möchte ich damit erreichen und ist es in meinem Alltag überhaupt realistisch? Kleine Laufrunden am Wochenende würden Niko und mir mit Sicherheit gut tun. Eine spannende Abwechslung zum „normalen“ Spazierengehen oder Wandern und ein guter Aufbau für unsere Kondition. Das bloße Hinhängen der Sportsachen und das wöchentliche Auflisten in meinem Plan waren bisher wenig und – ehrlich gesagt – überhaupt nicht erfolgreich. Ich habe mir nun überlegt, dass ich mir ein kleines Belohnungssystem ausdenken werde. Für jeden Haken auf der Liste gibt es einen Gönn’Dir -Moment. Um dem Ganzen aber zusätzlich noch ein bisschen mehr Nachdruck zu geben, werde ich mich nach Laufpartnern – vielleicht auch mit vierpfotiger Begleitung – umsehen, die uns helfen, in die ersehnte Routine zu kommen.

Ich bin gespannt, ob es funktioniert – denn ein zufriedenes Pudelschnäuzchen ist für mich Belohnung genug.