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in Issue Nº10

Hunde, die Geschichte schrieben

N

iko ist mein ganz persönlicher Held. In meinem Mikrokosmos hat er unverkennbar seine Spuren hinterlassen, Denken verändert und unser Leben tatsächlich auch in neue Bahnen gelenkt. So wie er im Kleinen haben einige seiner Artgenossen mit ihrem Wirken, ihrer Entschlossenheit und Anstrengung unsere Geschichte nachhaltig verändert - und dabei war ihr Leben zu diesem Moment nicht immer einfach.

LAIKA

Im Wettlauf auf ihrer Reise zum Mond schaffte es die Sowjetunion nur auf Platz 2. Um ein neues Kapitel in der Weltraumfahrt zu schreiben und damit aus dem Schatten der USA zu treten, war ihnen fast jedes Mittel recht. Und so schickten sie im Jahr 1957 mit Straßenhündin Laika das erste (wehrlose) Lebewesen in die Exosphäre der Erde – als Experiment, um herauszufinden, was passiert. Der zierliche Husky-Terrier-Mix wurde auf den Straßen Moskaus eingefangen. Wochenlang war sie eingesperrt in einem winzigen Käfig, um sie an die 80 cm kurze Kabine der Sputnik 2 zu gewöhnen. Immer wieder auf Zentrifugen geschnallt, mit lautstarkem Maschinenlärm beschallt und darauf trainiert, ein spezielles Nährstoffgel zu fressen. Mit ihr mussten noch zwei weitere Hündinnen, Albina und Muschka, diese Tests ertragen. Doch Laika wurde schließlich auserwählt. Am frühen Morgen des 3. November 1957 wurde sie in ihrem Sputnik auf der Spitze der Sojus in den Weltraum geschossen. Ein Rückflug war jedoch nicht geplant. Denn ein Raumschiff mit Hitzeschild für den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre war in dieser absurden Eile nicht konstruiert worden. Um Laika im All zu töten, sollte sie nach zehn Tagen vergiftete Nahrung bekommen. Dazu kam es jedoch nicht: Bereits fünf Stunden nach dem Start funkten die Messgeräte kein Lebenszeichen mehr ins Kontrollzentrum. Die Hündin  starb qualvoll an Überhitzung und Stress, umkreiste vorher aber den Erdball vier Mal und hatte als erstes Lebewesen diesen faszinierenden Ausblick auf den blauen Planeten, den wir unser Zuhause nennen. Sputnik 2 zog mit der toten Hündin noch über 2.000 Mal seine Bahnen, bis der Satellit nach fünf Monaten in der Atmosphäre verglühte. Erst Jahrzehnte später wurden Details zu Laikas Tod bekannt.

Dazu sagte Oleg Gazenko, der Laika in Zentrifuge und Trainingskäfig „ausgebildet“ hatte, später einmal:

Je mehr Zeit vergeht, desto mehr tut es mir leid. Wir haben von der Mission nicht genug gelernt, um den Tod des Hundes zu rechtfertigen.

*Wie es den Nachfahren von Laika heute geht, erzählt der Film Space Dogs (A, D 2018). Dafür haben Elsa Kremser und Levin Peter zwei Jahre lang in Russlands Archiven nach Fakten zu Laika und den 48 weiteren Hunde-Kosmonauten recherchiert, welche als Straßenhunde in Moskau eingefangen wurden. Auf ihrer Suche nach dem Geist von Laika in den Moskauer Straßen lassen sie Zeitzeugen wie Wissenschaftler und Ärzte zu Worte kommen, die an der Mission beteiligt waren. 

JOFI

Ohne Zweifel hat der Psychiater Sigmund Freud das Denken der Menschen unwiderruflich geprägt. In seinen Arbeiten zur Interpretation des menschlichen Bewusstseins hat sich Freud allerdings nur selten mit unserer Besessenheit von Haustieren befasst. Es sei denn, sie tauchten in den Träumen seiner Patienten auf, wo sie bedrohlich waren oder schwierige Verwandte oder vergangene Traumata versinnbildlichten. Was jedoch ziemlich unbekannt ist, dass Freud in vielen seiner Sitzungen eine Begleiterin an seiner Seite hatte: eine liebenswerte Chow-Hündin namens Jofi.

Während die Patienten sprachen, lag Jofi neben ihnen und war für Freud wie ein emotionales Barometer, das die Ruhe oder Angst der Person auf der Couch kanalisierte und allein durch ihre Anwesenheit beruhigend einwirkte.

Als Jofi aufstand und gähnte, wusste er, dass die Stunde um war,

erzählte einst Freuds ältester Sohn Martin. In einem Brief schrieb Freud: „Es erklärt wirklich, warum man ein Tier wie Topsy (oder Jofi) mit so außerordentlicher Intensität lieben kann: Zuneigung ohne Ambivalenz, die Einfachheit des Lebens frei von den schier unerträglichen Konflikten der Zivilisation, die Schönheit einer in sich geschlossenen Existenz…Oft habe ich mich dabei ertappt, wie ich beim Streicheln von Jofi eine Melodie summe, die ich, unmusikalisch wie ich bin, unweigerlich als Arie aus Don Giovanni erkenne: ‚Ein Band der Freundschaft verbindet uns beide’…“. Obwohl der Psychologe dies eigentlich nie beabsichtigte, kann Jofi mit ziemlicher Sicherheit behaupten, der erste Therapiehund der Welt zu sein.

BUDDY

Wenn wir über Hunde, die heilen, sprechen, dürfen wir eine Schäferhündin namens Buddy nicht vergessen. Sie war die treue Begleiterin von Morris Frank. Erblindet nach einem Boxkampf hörte der junge Frank von der Amerikanerin Dorothy Harrison Eustis, die in der Schweiz deutsche Schäferpolizeihunde zu Führhunden erblindeter Veteranen des Ersten Weltkrieges ausbildete. Er schrieb ihr und äußerte den Wunsch, einen solchen Hund zu erwerben und ein ähnliches Ausbildungszentrum in den Vereinigten Staaten einzurichten. Am 11. Juni 1928 kam er, nachdem er seine Ausbildung in der Schweiz abgeschlossen hatte, gemeinsam mit Buddy in New York City an und bewies die außerordentlichen Fähigkeiten seiner Hündin, indem er eine gefährliche Straßenkreuzung vor Scharen von Nachrichtenreportern überquerte.

Sogar über die West Street?“

In der Gegend als „Death Avenue“ bekannt, war sie eine der gefährlichsten Straßen der Stadt. Frank erklärte angeblich: „Zeig sie mir, und Buddy wird mich über sie hinwegführen.“

Die Vorführung glückte und damit ein großer Schritt für Menschen mit Behinderung und ein Riesenschritt für die Assistenzhunde. Frank gründete mit The Seeing Eye die erste Schule für Blindenhunde in den Vereinigten Staaten und setzte sich dann jahrzehntelang für das Recht der Blinden ein, ihre Hunde auf öffentlichen Plätzen mitzunehmen.  Buddy starb 1938 und ist bis heute ein Synonym für Mobilität, Sicherheit, Unabhängigkeit und Selbstversorgung.

 

HACHIKO

Weit über die Grenzen Japans hinaus ist Hachiko bekannt. Sogar Hollywood schuf dem Akita ein Denkmal. Geboren wurde der Vierbeiner, der ursprünglich auf den Namen Hachi hörte, irgendwann im November 1923 auf einem Bauernhof im Norden des Kaiserreichs. Im Januar 1924 machte sich der Junghund im Zug auf die Reise in sein neues Zuhause. Hidesaburo Ueno, Professor für Agrarwissenschaft an der Universität Tokio kümmerte sich liebevoll um Hachi, der zu einem kräftigen Akita heranwuchs, mit dichtem cremefarbenen, leicht gelbem Fell, einem Ringelschwanz und hochstehenden Ohren. Jeden Morgen ließ sich Ueno von Hachi ein Stück des Weges zur Arbeit begleiten, meist zum nicht weit entfernten Bahnhof Shibuya. Dort holte der Hund ihn abends auch wieder ab – egal ob bei Sturm oder Sonnenschein. Doch am 21. Mai 1925, einem wolkenverhangenen, düsteren Tag, wartete Hachi vergebens auf Uenos Rückkehr. Er verstarb während einer Vorlesung an einer Hirnblutung.

Ich sah oft einen großen Hund in der Nähe der Bahnsteigsperre am Bahnhof Shibuya sitzen.

Fast jeden Tag kam Hachi zum Bahnhof, um auf sein Herrchen zu warten. In der Zwischenzeit war das Tier bei dessen ehemaligem Gärtner untergekommen, zu dem er abends zurückkehrte. Im Bahnhof war Hachi allerdings alles andere als willkommen. Passagiere beschwerten sich, Bahnmitarbeiter misshandelten ihn sogar. Er wurde geschlagen, manchmal sogar mit Farbe beschmiert. Bis 1932 in der großen Zeitung Tokyo Asahi-shimbun ein Artikel erschien: Mit „Die Geschichte des traurigen alten Hundes“ wurde Hachi schlagartig bekannt und zum Symbol für Treue und Loyalität. Als im Oktober 1934 die lebensgroße Bronzestatue am Bahnhof von Shibuya eingeweiht wurde, war Hachi bereits 11 Jahre alt und sehr krank. Nachdem er fast zehn Jahre auf sein Herrchen gewartet hatte, wurde sein lebloser Körper am 8. März 1935 in einer Gasse nahe dem Bahnhof aufgefunden. Sein präparierter Körper befindet sich seitdem im Nationalmuseum für Naturwissenschaften in Tokyo. Aber auch an dem besagten Bahnhofsausgang ist der Geist Hachikos zu spüren – denn er heißt heute noch offiziell Hachiko Exit.

BROWN DOG

Etwas versteckt im Londoner Battersea Park lässt sich ein Stück Geschichte nachspüren: Am Rande eines Weges nahe des Old English Garden steht die Statue eines Hundes auf einem Sockel. Das Denkmal wurde 1985 von der British Union for the Abolition of Vivisection und der National Anti-Vivisection Society gestiftet und steht für die Ablehnung der Vivisektion und Tierversuche. Dabei hatte der namenlose brown dog eigentlich ein unauffälliges Leben geführt. Erst die schockierenden Umstände seines Todes machten die Nation auf sein trauriges Schicksal aufmerksam und waren der Beginn ausufernder Proteste. Denn der Terriermischling fand sein Ende nicht auf natürlichem Weg, sondern in einer Lehrveranstaltung der britischen Physiologen William Bayliss und Ernest Starling am renommierten University College London.

Bereits 1902 hatte Starling an dem Hund eine Vivisektion durchgeführt. Seither fristete das Tier sein Leben in einem Käfig. Am 2. Februar 1903 begannen die Forscher vor Publikum mit einem zweiten Versuch: Starling untersuchte fast eine Stunde lang die Spuren der letzten Operation. Sie brachten Elektroden an den Nerven der Speicheldrüsen an, um sie rund eine Stunde lang immer wieder durch elektrischen Strom zu stimulieren. Nach diesem Experiment sollte ein Student die Bauchspeicheldrüse entfernen und den Hund mit einem Stich ins Herz töten. Ebenfalls im Seminar anwesend waren Louise Lind-af-Hageby und Liesa Schartau. Ihre Beobachtungen hielten sie in einem detaillierten Tagebuch fest, das zunächst unter dem Titel Eye-Witnesses veröffentlicht wurde. Die beiden Frauen sagten aus, sie seien vor den anderen Studenten im Operationssaal gewesen und hätten Narben von früheren Eingriffen sowie Einschnitte am Hals mit kleinen herausragenden Röhrchen beobachtet. Anästhetika hätten sie keine riechen können. Der Hund habe zudem Bewegungen gemacht, die sie als bewusst einstuften. Dieses Buch trug erheblich zur Polarisierung des Themas bei und fachte die Brown Dog Riots an. Denn schon die Durchführung mehrerer Vivisektionen an einem Tier war illegal. Die beiden Aktivistinnen und ihr Herausgeber wurden daraufhin vom versuchsleitenden Professor verklagt und zu einer Geldstrafe von 2.000 Pfund verurteilt.

In Reaktion auf das Urteil errichteten Tierrechtler 1906 eine Bronzestatue des Hundes: In Erinnerung an den braunen Terrier, der im Februar 1903 in den Laboratorien des University College getötet worden ist, nachdem er eine mehr als zwei Monate andauernde Vivisektion durchlitten hatte, im Zuge derer er von einem Experimentator zum nächsten gereicht worden war, bis der Tod ihn erlöste. Ebenfalls in Erinnerung an die 232 Hunde, die im Jahr 1902 am selben Ort viviseziert worden sind. Männer und Frauen Englands, wie lange sollen diese Dinge andauern?