Was zeichnet Euch als Team aus?
Wir sind wie Ying und Yang. Er ist dieser ruhige, entspannte Hund, ein richtiger Langschläfer und ich bin eine Frühaufsteherin, die kaum stillsitzen kann und eine kleine Hektikerin ist. Wir sind wie Feuer und Eis. Wir gleichen uns aus.
Was schätzt Du an Deinem Vierbeiner am meisten?
Vieles, doch wenn ich mich entscheiden muss, dann, dass ich durch Polly einiges gelernt habe. Vor allem zwei Charakterzüge, die nicht unbedingt meine Stärke sind und zwar: Flexibilität und Geduld. Einem ängstlichen Hund muss man Zeit geben, Druck oder Hast verstärken seine Furcht. Zudem hatte ich diese idyllische und völlig utopische Vorstellung von einem Hund. Ich sah Polly und mich auf einer Wiese mit einem Ball spielen, das satte Grün, die schönen Blumen, also kaufte ich einen Ball und ging, sobald Polly nicht mehr so große Angst hatte und entspannt in einem Park sein konnte, mit ihm dort hin. Doch mein Hund findet Ball spielen so richtig doof. Dabei habe ich gelernt, auch flexibel zu sein. Heute werfe ich den Ball nicht mehr, sondern verstecke ihn. Polly schnüffelt sehr gern und liebt es, einer Fährte nachzugehen. Wir haben gemeinsam nach einer Lieblingsbeschäftigung gesucht und sie gefunden.
Wenn Polly sprechen könnte, was würde er mir verraten?
Er würde zugeben, dass ich ihn als Alibi (be)nutzte, um in der Wohnung Selbstgespräche zu führen. Die klingen in etwa so: „So Polly, dann bringen wir noch den Müll runter!“ oder „Hmm, was soll ich heute Abend kochen?“ Oder „Wann wollte nochmal XY kommen?“ Der arme Hund kriegt meine ganzen Monologe ab.
Der verrückteste Moment, den Ihr gemeinsam erlebt habt?
Letztes Jahr im Sommer wollte ich mit Polly einen ganz entspannten Trip in die Lüneburger Heide machen. Es war alles perfekt: Eine Blockhütte mitten im Wald, keine Autos, kein Handyempfang, nur Ruhe und Erholung – das war zumindest mein Plan. Am ersten Tag wollten wir die große Weite genießen und haben uns auf in den Wald gemacht. Polly war super euphorisch – er musste ja den ganzen Platz ausnutzen! Er schoss in den Wald hinein und auf einmal hörte ich einen Schrei von ihm, den ich noch nie gehört habe. Voller Panik bin ich hinterhergerannt und sah ihn mitten auf dem Waldboden liegen und zittern. Er bewegte sich nicht und winselte. Diesen Laut, werde ich nie wieder vergessen. Ich weiß nicht warum, aber ich war in dieser Situation total ruhig. Statt durchzudrehen, begutachtete ich seinen ganzen Körper und fand den Grund seines Leids: Es war ein ganz normaler Stock. So wie Hundehalter ihn ihren Vierbeinern vor die Nase werfen auf einem Spaziergang oder den Kinder als Requisite für ihre Fantasiespiele nutzen. Doch dieser Stock, steckte zwischen dem Hals und der Brust meines Hundes. Polly ist einfach auf ihn raufgesprungen und er hat sich in seinen Brustkorb gebohrt. Reflexartig zog ich ihn heraus, er blutete nicht, doch ich sah ein großes Loch. Dass es ein Fehler war, wusste ich nicht. Ich wollte nur den Übeltäter beseitigen. Er gehörte nicht dorthin. Um die Geschichte kurz zu machen: Ich schleppte ihn bis zur nächsten Landstraße. Das waren 20 Minuten. Polly wiegt 24 Kilo. Ich hielt ein Auto. Das ließ mich stehen. Ich rief beim Notdienst an und das zweite Auto nahm mich mit und brachte mich zur Tierarztklinik. Die Ärztin setzte mich vor die Tür. Polly ging in den OP und ich sollte eine Stunde warten. Eine Stunde! In dieser Zeit habe ich überlegt, was passiert, wenn sie mir sagt: „Er hat es nicht geschafft“. Was, wenn Polly nie wieder laufen kann oder spielen oder überhaupt – was wenn? Doch es kam anders. Er überlebte es. Es war ein langer Weg der Genesung. Von da an wusste ich, wie verletzlich er ist und wie fragil schöne Momente sind. Gleichzeitig hat dieses Erlebnis uns beide verändert und uns näher zusammengebracht. Heute weiß ich, dass meine Welt zusammenbrechen würde, wenn dieser weiße Puschelhund nicht mehr ist.
Das Leben in einer Großstadt: Wie meistert Ihr Euren Alltag?
Als Polly zu mir kam, war er von all den neuen städtischen Eindrücken überfordert. Er hatte Angst vor Menschen, Geräuschen, einer Plastiktüte, zwei Plastiktüten, einmal sogar vor einem Blatt, vor anderen Tieren, vor allem Fliegen (das geht ihm heute immer noch so) und sogar vor seinem eigenen Schatten! Daher muss ich ihn immer sehr behutsam an neue Situationen heranführen. Was bisher super geklappt hat! Er ist ein cooler, entspannter Hund geworden, doch wir haben noch einen Bereich an dem wir arbeiten müssen: Die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Seit einem halben Jahr fahren wir mit den Öffis zur Arbeit. Obwohl mein vierbeiniger Freund exakt vier Stationen fährt, empfindet Polly sie eher als 400 Trillionen Stunden in der Hölle. Die mitfühlenden Berliner Co-Öffi-Fahrer sind leider keine große Hilfe, wenn sie „Ohhhhh, der Arme!“, rufen, worin sich Polly natürlich bestätigt sieht und noch mehr Angst bekommt. Aber! Seit einer Woche gibt es kein Zittern, Jammern oder exzessives Hecheln. Wir sind auf dem richtigen Weg.
Du bist sehr aktiv im Tierschutz, arbeitest ehrenamtlich für eine Organisation und bist sehr oft als Pflegestelle eingesprungen. Was würdest Du anderen raten, wenn sie sich überlegen, Pflegestelle zu werden?
Das Leben als Pflegestelle macht total Spaß! Man muss wirklich aufpassen, denn der Suchtfaktor ist hoch. Das Wichtigste ist, dass einem bewusst sein muss, wie viel Arbeit dahintersteckt. Dabei meine ich nicht, dass man den Hunden, die aus dem Tierheim kommen, quasi alles beibringt. Das ist der Teil, der richtig viel Spaß macht und wo die Fellnasen einem viel Liebe und Wertschätzung zurückgeben. Die große Arbeit ist tatsächlich mit den Menschen. Emails, Telefonate, Spaziergänge, Vorkontrollen, Nachkontrollen und vor allem die Suche nach dem richtigen Zweibeiner. Als Pflegestelle lernt man den Hund kennen und weiß ziemlich schnell, was er braucht. Einen aktiven Besitzer, einen Souveränen oder manchmal passt auch ein Anfänger. Doch die richtige Person zu finden, kann wirklich lange dauern. Teilweise ist man als Pflegestelle auch frustriert über Anfragen oder Ansichten von Menschen und dem mangelnden Verständnis, was ein Hund wirklich braucht. Aber sobald der Pflegi seinen Teamgefährten gefunden hat, beide happy sind und man das eine oder andere Bild erhält, ist die ganze harte Arbeit vergessen und man schäumt über vor lauter Glück!