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Unterwegs im Nationalpark Unteres Odertal

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ir müssen nicht weit weg fahren, um glücklich durchatmen zu können. Nach knapp 45 Minuten mit der R 3 in Richtung Stralsund stehen wir (fast) mitten im Nirgendwo. Da wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen und mein Telefon verzweifelt ein Netzwerk sucht. Seit über zwei Jahren führt mich ein Projekt regelmäßig ins Untere Odertal mitsamt seinen verschlafenen Dörfern, Naturoasen und einem wunderschönen Nationalpark. 

Die weiträumig, regelmäßig überflutete Oderniederung wird seit 1995 als Nationalpark geschützt und entwickelt. Abwechslungsreiche Wanderpfade und endlos lange Radwege auf den Deichen und in der Aue lassen in die Naturoase eintauchen.

Facettenreiche Natur

Der Nationalpark Unteres Odertal ist einer der artenreichste Lebensraum in Deutschland. Direkt vom Bahnhof Angermünde bringt uns der Rufbus ins beschauliche Stolzenhagen, direkt an den Eingang zum Nationalpark Unteres Odertal. Mir völlig unbekannt, erschloss sich mir die Vielfalt des Odertals erst nach und nach. Mit seinen Flussaltarmen, und den regelmäßig überfluteten Auen finden hier unzählige Wasservögel ihr Zuhause: Rund 35.000 Blässgänse, 30.000 Saatgänse, 17.000 Stockenten, 15.000 Pfeifenten, 8.000 Krickenten und 9.000 Spießenten wurden hier als Rastvögel gezählt und über 200.000 Wasservögel ziehen im Herbst und im Frühjahr hier durch die Oderniederung. Auch Kraniche lassen sich im Oktober vor allem im Norden des Odertals beobachten. Und wer im Winter aufmerksam die Auen erkundet, kann den Singschwänen bei ihren trompetenden, zuweilen melancholischen Rufen zuhören. 

Ebenso vielfältig ist die Pflanzenwelt: Seerosen und Schwimmfarn bedecken die Altwässer, bunte Auenwiesen mit Brenndolde und Alant, urwüchsige Auwaldreste und auf den Hängen zur Oder laden Laubmischwälder zum Wandern ein. Im bunt blühenden Trockenrasen mit Frühlingsadonisröschen, Wiesenkuhschelle und Knabenkräuter fühlen sich Biber und Fischotter besonders wohl. Kein Wunder, denn die natürliche Gewässerdynamik bietet ihnen ideale Lebensbedingungen und mir eine unterhaltsame Abwechslung bei meinem Morgenkaffee auf der Terrasse im ehemaligen Sozialgebäude der Betonfabrik in Stolpe. 

Von Stolpe durch den Trockenpolder

*Länge circa 20 km

Mit seinen 380 Einwohnern zählt Stolpe eher zu den gemütlichen Orten im Barnim. Auf dem Gelände der ehemaligen Betonfabrik entwickelt sich ein Kulturzentrum mit Ateliers, Werkstätten und Arbeitsräumen, die nicht nur dem Stadtleben überdrüssige Kreative in die ländliche Idylle lockt, sondern auch den Einheimischen einen Ort der Begegnung bietet. Direkt am Oderkanal – oder genauer gesagt an der Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße, welche weitgehend dem früheren Verlauf der Oder entspricht – im charmanten DDR-Flachbau haben Niko und ich unser Quartier aufgeschlagen und genießen unter dem historischen Grützpott, dem Überbleibsel der Burg Stolpe, die morgendliche Stille und einen fabelhaften Sonnenaufgang. 

Der so genannte „Grützpott“, ein Rest des Bergfrieds der Burg Stolpe auf einer Anhöhe an der Oder.

Los gehts an der Eisenbogenbrücke direkt neben dem Kulturpark. Wir überqueren die Brücke ortsauswärts und halten uns links auf dem Deich, um dann auf dem Spurplattenweg in Richtung Südosten abzubiegen. Immer geradeaus führt uns der Weg durch Wiesen und Weiden bis zur Oder. Unterwegs begegnen und Kühe und Schafe, die Niko in ihren Bann ziehen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass sich Hunde im Nationalpark willkommen sind; allerdings herrscht Leinenpflicht. Weiter des Wegs kreuzen zahlreiche Enten und Schwäne, um die ich sicherheitshalber einen größeren Bogen mache. Angekommen am Fluss, halten wir uns auf dem Sommerdeich links, also Richtung Nordosten. Vor uns liegt nun das ökologisch äußerst wertvolle Odervorland. Aus den knorrigen Weidenbüschen und Weichholzauen ertönt Vogelgesang und Schwalben jagen über den Wasserflächen nach Insekten und kleinen Fischen. 

Am Horizont taucht auf der polnischen Seite das Örtchen Piasek auf. Jetzt biegen wir vor dem Eiswachthäuschen nach Westen ab und lassen die Oder hinter uns. *Mit den sogenannten Eiswachthäuser wurde damals die Oder bei Hochwasser und Eisgang überwacht. Wir wandern nun auf dem Deich, der den Trockenpolder und den vor allem im Winter unter Wasser stehenden Nasspolder voneinander trennt.

Wenig später stoßen wir in Höhe Alt-Galow wieder auf die Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße. Wir laufen ein Stück südwärts, überqueren die Kanalbrücke und biegen gleich hinter dem Kanal links in einen Uferweg. Vorbei an einem wunderschönen Buchengrund und dem alten, slawischen Burgwall gelangen wir an die Stolper Fischteiche. Mit etwas Glück lassen sich Graureiher, Fisch- und Seeadler bei ihrer Suche nach Beute beobachten. Und vor allem in der Dämmerung üben sich Teich- und Seefrösche in gemeinsamen Konzerten. 

Stolper Turm

Auf der anderen Straßenseite, gegenüber der Hallen im Kulturpark steht das alte Herrenhaus Stolpe. Circa Mitte des 16. Jahrhunderts erbaut, später abgebrannt und wieder errichtet, gibt es heute Kindern und Jugendlichen ein neues Zuhause, die dort in Wohngruppen zusammenleben. Gleich hinter dem Haus, etwas versteckt, schlängelt sich ein schmaler Pfad mit Treppen auf den Burgberg hinauf. Hier erzählt der Stolper Turm seine Geschichten und öffnet seine Pforten derweilen für kulturelle Veranstaltungen und Filmabende. Besonders in den Morgenstunden lässt sich hier auf dem Berg eine wohltuende Ruhe genießen und die Sonne bei ihrem Aufstieg über das Untere Odertal beobachten. 

Von Lunow nach Stolzenhagen 

*Länge circa 15 km

Für unsere Entdeckungstour im Süden des Nationalparkes starten wir in Lunow. Unser Ziel ist das Nachbarörtchen Stolzenhagen, dass Niko und ich sehr ins Herz geschlossen haben. 

Von der Lunower Hauptkreuzung – durch ihr Weltkriegsdenkmal nicht zu verfehlen – laufen wir die Straße in Richtung Lüdersdorf entlang. Es geht vorbei am Edeka-Markt. Und hinter der Garage der Freiwilligen Feuerwehr biegen wir nach rechts in die Stolzenhagener Straße ein. Raus aus dem Ort geht es immer gerade aus: erst auf Sandwegen, dann auf Kopfsteinpflaster und später wieder auf Sandwegen durch die Feldmark. Besonders schön und ideal für eine Rast ist in der Baumblüte der Liebesgrund, eine Obstwiese hinter Lunow. 

Nach einem guten Kilometer erreichen wir bereits Stolzenhagen. Im Ort halten wir uns erst links in südwestlicher Richtung (Landstraße nach Lüdersdorf). Gleich darauf wenden wir uns nach rechts, in nördliche Richtung und laufen im leichten Bogen zum Ortskern. Wir kommen am Geologischen Garten vorbei und sehen halblinks am Hang die Dorfkirche. 

Krähenberge, Gellmersdorfer Forst und Jungfernberge

Von der Kirche aus lässt sich über einen kleinen Rundweg der Gellmersdorfer Forst erreichen. Kurz vor der Kanalbrücke, gegenüber dem letzten, auf der rechten Straßenseite liegenden Haus führt ein Weg nach links und steil bergan auf die Krähenberge.

Zwischen den Baumkronen lässt sich hier auf das Odertal blicken. Zunächst führt der Weg einen knappen Kilometer durch den Wald, danach ebenso steil hinab ins Tal. Je nach Jahreszeit kann es hier recht feucht werden oder sogar kaum passierbar sein. Bei den Resten eines Knüppeldamms lässt sich über eine hölzerne Brücke der Bach überqueren und es geht wieder bergauf bis zum Gellmersdorfer Forst, der bereits zum Landkreis Uckermark gehört.

Vorgelagert im Osten sind die Jungfernberge mit ihrem Trockenrasen, die zum Verweilen beim Blick über das Odertal einladen. Um nach Stolzenhagen zurückzukehren, geht es vom Jungfernberg auf gleiche Weise wieder herunter und entlang der Feldkante.

Der Weg ist nicht immer leicht zu finden. Auf linker Hand erreichen wir die Umzäunung der alten Stolzenhagener Müllkippe. Hier beginnt tatsächlich das Dorf. Auf ihrem obersten Punkt biegen wir nach links auf einen Feldweg in Richtung Kirche ab, wandern durch die Dorfmitte, wieder vorbei an dem Pfad zu den Krähenberge und gelangen schließlich an die Kanalbrücke.

Wer vorher noch den kleinen Hafen anschauen möchte, der folgt der Dorfstraße vor der Brücke nach rechts. 

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Wie Ihr seht, wurden die Bilder auf unseren Wanderungen im Frühjahr, Sommer und Herbst aufgenommen. Dieses idyllische Naturparadies hat zu jeder Jahreszeit ihren ganz besonderen Reiz, selbst im Winter wenn in der Frühe der Nebel über den Wiesen am Oderkanal hängt und die Schiffe einsam über das Wasser ziehen.