2 Tage Abenteuer im Spreewald

Je freier man atmet, je mehr lebt man. Theodor Fontane

Ein Ausflug in den Spreewald stand schon sehr, sehr lange auf meiner Liste. Obwohl dieses idyllische Fleckchen Erde fast vor der Haustür liegt, habe ich es irgendwie nie geschafft. Aber Schluß mit der Prokrastination und ran an die Ausflugsplanung! Ein ruhiges Häuschen sollte es sein, am liebsten am Fließ, in unberührter Natur und gut mit Bahn und Bus zu erreichen. Und natürlich sollte auch Niko willkommen sein. Gleich bei meiner ersten Recherche bin ich fündig geworden und war sofort verliebt in dieses traditionelle Blockbohlenhaus mitten im Nirgendwo.

Seine Fläche von circa 45.000 Hektar mit einem 1500 Kilometer langen und verwinkelten Netz aus Fließen, Feuchtwiesen und Mooren, in denen über 5000 verschiedenen Tier – und Pflanzenarten ihren Lebensraum gefunden haben, machen das Biosphärenreservat Spreewald zu einem sehr besonderen Ort. Im absoluten Einklang mit der Natur – bis auf leichtes Wassergeplätscher, Vogelgezwitscher und das Zirpen der Grillen, herrscht hier eine wunderbare Ruhe.

Mitte November mit etwas Herbstnebel im Gepäck ging es dann endlich los. Mit der Regionalbahn reisen wir bequem und innerhalb einer Stunde von Berlin bis nach Vetschau. Auf dem Bahnsteig wartet schon unsere Gastgeberin Franziska auf uns. Zwei große Rucksäcke, eine Tasche bis oben hin gefüllt mit Lebensmitteln werden schnell im Van verstaut und gemeinsam mit unseren beiden Hunden nehmen wir Platz. Dass bei Franziska und ihrer Familie zwei Viszlas leben, merken wir schnell: Sie begrüßt unsere beiden Hunde sehr herzlich und hat auch im Auto alle notwendigen Vorkehrungen für eine angenehme Fahrt getroffen. Das Wochenende startet sehr vielversprechend und zufrieden lasse ich meinen Blick aus dem Autofenster schweifen.

Auf der Fahrt lässt sich ein wenig die Sonne blicken und wir lauschen gespannt, was uns Franziska über die Region und ihre Bewohner erzählt. Unser Weg führt uns direkt nach Burg, die größte Streusiedlung Deutschlands. Bereits am Ortseingang begrüßt uns die Gemeindemit Bórkow in ihrer zweiten Sprache – niedersorbisch. Der älteste Teil Burg-Dorf gliedert sich in einer geschlossenen Dorfbebauung. Burg-Kauper und Burg-Kolonie entwickelten sich allerdings als Streusiedlungen. Die Häuser wurden hier aufgrund des Wasserspiegels und der Bodenbeschaffenheit auf kleinen Erhebungen, den Kaupen, erbaut.

Die Sorben sind vorwiegend in der Oberlausitz beheimatet; die Wenden kommen vor allem aus der Niederlausitz und dem Spreewald. Der Spreewald erstreckt sich von Cottbus bis Lübben (Oberspreewald) und von Lübben bis zum Neuendorfer See (Unterspreewald).

Im Vorbeifahren durch Burg-Dorf gibt uns Franziska viele Einkaufstipps – wo gibt es die besten Brötchen, wer hat die leckersten Spreewaldgurken und wo lässt es sich wunderbar essen. Über kleine Brücken, geht es vorbei geht an der Therme und Franziskas Geheimtipp, einer kleinen Töpferei. Als wir wenige Minuten später auf eine Einfahrt biegen, können wir und die Hunde es kaum erwarten, aus dem Auto zu springen. Etwas mulmig ist mir allerdings zumute, denn das Grundstück ist nicht eingezäunt. Aber egal – das Abenteuer ruft.

Liebe auf den ersten Blick

Unser Zuhause für die nächsten zweieinhalb Tage ist eine ehemalige Scheune, die zum Wohnhaus von Franziskas Familie gehört. Auf dem Grundstück finden gerade Bauarbeiten statt. Denn Franziskas Herz schlägt für die alten Spreewaldhäuser. Durch Erbschaftsunstimmigkeiten oder fehlendes Kapital sind in der Region immer wieder traditionelle Blockbohlenhäuser vom Verfall bedroht. Eine 250 Jahre alte Scheune konnte Franziska retten und lässt diese nun auf ihrem Grundstück wieder aufbauen. Weiter vorn am Fließ steht ihr eigenes Wochenendhaus, in das die vierköpfige Familie häufig kommt. Wir dürfen sogar einen Blick hineinwerfen und sind ganz begeistert von der Gemütlichkeit und Romantik, die es ausstrahlt. Früher haben hier bis zu vier Familien Platz gefunden. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Zum Haus gehören auch diverse einfache Fahrräder und ein Paddelboot. Das kleine Brotbackhäuschen erinnert mich an Hänsel & Gretel. Und die Feuerstelle nahe beim Wasser ist bestimmt ein Lieblingsplätzchen im Sommer. Dann geht es in „unser“ Haus – das Dachgeschoss der Reet-gedeckten Scheune: Die mit ökologischen Materialien wie Zellulosedämmung, Lehmputz und Eichenparkett ausgebaute Wohnung ist urig, gemütlich und überraschend geräumig. Die Küche ist groß, offen und lässt keine Wünsche für ausgiebiges Kochen und Backen offen. Auch für die Hunde sind Decken vorhanden, die ich als erstes in der offenen Küche und vor dem Kaminofen auslege. Wir kommen jetzt erst einmal an.

Die leichte Mittagssonne lockt uns wieder in den Garten. Bei einer Tasse Kaffee direkt auf dem Steg am Burg-Lübbener-Kanal planen wir unseren ersten gemütlichen Rundgang in die Umgebung.

Auf dem Rundwanderweg nach Burg. Strecke circa 12 km

Schnell entscheiden wir uns für eine relative einfache Route, den Rundwanderweg nach Burg-Dorf: Links raus aus der Einfahrt und an der nächsten Kreuzung zweimal links und schon gehts los – mit dem gelben Punkt im Blick. Ein bisschen an der Strasse entlang entschließen wir uns für einen Nebenwanderweg, der über Weidefelder nahe der Kleinen Spree in Richtung Willischza See führt. Wir genießen das milde Herbstwetter und vor allem diese absolute Ruhe. Unsere beiden Hunde bleiben bei dieser Idylle allerdings an der Leine. Zum Einen kennen wir das Gelände nicht und einige Spuren lassen erkennen, dass sich hier auch gerne Wild tummelt. Und dann sehen wir sie auch. Einige Rehe stehen auf den Feldern. Die Kamera habe ich zwar dabei, möchte aber lieber die Natur genießen und lasse sie in der Tasche. Am See treffen wir auf die Byhleguhrer Strasse und wandern auf ihr weiter – vorbei an der Kräutermanufaktur, bis wir vor dem Bismarckturm stehen. Das Wahrzeichen wurde Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut. Gegenüber vom Bismarckturm erhebt sich die Arena Salix. 2006 erschuf der Schweizer Architekt Marcel Kalberer das Denkmal aus geflochtenen, lebenden Weidenruten. In den Sommermonaten finden in der Burg Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen statt.

Franziska hatte ihn bei unserem ersten Rundgang im Garten schon angekündigt – in direkter Nachbarschaft scheint ein Biber zu leben, der sich wohl auch des Öfteren auf dem Grundstück blicken lässt. Beobachten konnten wir ihn leider nicht, konnten aber auf unserer Rundwanderung zwei Artgenossen sichten. Vor allem Niko interessierte sich für die possierlichen Tierchen. Erinnerten sie ihn bestimmt an seine geliebte Pelzbommel zu Hause in der Spielzeugkiste. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Biber wieder heimisch geworden sind im Spreewald. Sie galten mehr hundert Jahre in der Spree-Region als ausgestorben. Vor 15 Jahren wurden dann wieder erstmals Tiere gesichtet und seitdem wächst die Population.

Wir spazieren weiter zum Spreehafen. Auch außerhalb der Saison wird täglich eine Kahnfahrt angeboten, die allerdings nur stattfindet, wenn sich genügend „Passagiere“ finden. Mittlerweile ist es schon relativ spät und die Sonne steht schon recht tief. Laut Navigation haben wir gut die Hälfte unserer Strecke geschafft. Wir passieren die Spreewald Therme und schlagen uns auf einem Seitenweg in Richtung Jugendherberge. Doch irgendwo zwischen Erlkönigfließ und Kleine Spree sind wir viel zu weit nach Westen gelaufen. Das kann auf den vielen Nebenwanderwegen leicht passieren. Mit einem Lachen geben wir die Hoffnung auf, noch vor Dunkelheit zurück im Haus zu sein. Denn dieser kleine Umweg brachte uns einen zusätzlichen Fußmarsch von 40 Minuten ein. Als wir endlich an der Töpferei vorbeikommen, atmen wir erleichtert auf. Nun ist es wirklich nur noch ein Katzensprung.

An diesem Nachmittag sind wir tatsächlich über 15 km gelaufen. Puhh. Das steckt dann wirklich in den Knochen. Seufzend ziehe ich mir die Schuhe aus. Im Ofen knistert bald das Holz und im Haus wird es mollig warm. Während unser Gemüse im Backofen gart und die Hunde vor dem knisternden Ofen dösen, schaue ich mir die Bücherregale an. Abenteuergeschichten, Romane und etliche Bücher über den Spreewald mit all seinen Geheimnissen. Am Abend wird es auf jeden Fall nicht langweilig.

Wassermann, Lutki, Höllenochsen oder Schlangenkönig – um den Spreewald ranken sich viele Sagen. Wer auf seinen Spaziergängen ganz aufmerksam ist, kann dem wuźowy kral (sorbisch/wendisch für den gekrönten König der Schlangen) begegnen. An vielen Giebeln der alten Spreewaldhäuser finden sich gekreuzte Schlangenhäupter – als gute Hausgeister und Glücksbringer.

Damals lebten im Spreewald eine Fülle von Wasserschlangen. Sie besaßen einen Schlangenkönig. Der trug auf seinem Kopfe zwei gebogene Haken, die eine elfenbeinerne Krone umschlungen hielten. Diese Krone war von unschätzbarem Wert. Wer sie erbeutete, der kam zu ungeheurem Reichtum. Das hörte der erste Lynar von Lübbenau, ein kühner, aber armer Ritter. Er wußte, daß der Schlangenkönig mit seinem Gefolge zuweilen an das Land geschwommen kam, um auf einer grünen Insel im Sonnenscheine zu tanzen. Dabei pflegte dieser regelmäßig die Krone abzunehmen und auf einen weißen Gegenstand abzulegen. Der Ritter beschloß, sich diese Krone zu beschaffen. Er breitete ein weißes Tuch auf den Rasen aus und versteckte sich im Gebüsch. Bei aufsteigender Sonne kam der Schlangenkönig mit seinem Gefolge, legte die kostbare Krone auf das weiße Linnen, damit sie nicht beim Tanze behindere. Jetzt sprang der Graf hervor, griff das Tuch bei den Zipfeln und jagte zu Pferde davon. Mit ohrenbetäubendem Lärm folgten ihm tausende Schlangen. Schon glaubte sich der Flüchtende verloren, denn eine hohe Mauer hemmte seine Flucht. Doch sein Pferd setzte mit einem mächtigen Sprunge hinüber und der Graf war gerettet. Zum Danke dafür, daß er so reich geworden, ließ er in sein Wappen eine Mauer nebst geringelter Schlange aufnehmen.

*überliefert; aus Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 1.

Paddeln, Irrgarten und das süße Nichtstun

Der nächste Morgen hüllt sich in Grau. Ein leichter Nieselregen prasselt auf das Reetdach. Die Hunde stört es nicht. Vergnügt springen sie durch den Garten und machen sich an den Maulwurfshügeln zu schaffen. Am späten Vormittag zeigen sich ein paar Sonnenstrahlen. Mit der Gelegenheit am Schopfe holen wir das Paddelboot aus dem ehemaligen Stall im Erdgeschoß.

Mit Elsa wollen wir „in See stechen“ und den Spreewald ganz traditionell erkunden. Von Franziska gab es am Vortag noch den guten Rat, unbedingt die gepolsterten Matten mit ins Boot zu legen. Durch das kühle Herbstwetter und das kalte Wasser von unten würden die Hunde ansonsten recht schnell frieren. Von unseren Vierbeinern werden wir aus sicherer Entfernung beobachtet. In ihren Augen scheint Elsa ein schwarzes Ungetüm zu sein, das sich geheimnisvoll über den Rasen ins Wasser schlängelt. Etwas ungelenk hieve ich erst Niko vorn ins Boot, dann mich. Viktoria und Betty nehmen hinten Platz. Aufgeregt stoßen wir uns vom Ufer. Dass der Ausflug schneller endet als gedacht, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.

Schnell nimmt das Boot an Fahrt auf. Allerdings haben wir es mehr schlecht als recht unter Kontrolle. Ständig stoßen wir irgendwo am Ufer an. Das Geholpere verunsichert die Hunde; doch noch halten sie aus. Allerdings bin ich ziemlich nervös und meine Arme beginnen zu schmerzen. Das Paddeln hatte ich wesentlich entspannter in Erinnerung. Mit einiger Anstrengung fahren wir am Nachbargrundstück vorbei. Die Ziegen beobachten uns neugierig. Dann kommt auch schon die erste Brücke.

Wer im Spreewald unterwegs ist, dem fällt auf, dass die Brücken ziemlich hoch gebaut sind. Das liegt allerdings nicht am Hochwasser. Vor allem früher wurde auf den Kähnen alles mögliche transportiert – Menschen, Tiere, aber auch Heu. Und damit nichts unter den Brücken hängen bleibt, wurden die Brücken über den Gewässern so hoch gebaut.

Doch bevor ich mich weiter zwischen Gedanken und verzweifeltem Steuern des Bootes verliere, höre ich ein lautes Platschen hinter mir. Betty ist über Bord gegangen. Die unübersichtliche Lage an Bord hat sie so verunsichert, dass sie lieber ins Wasser gesprungen ist. Es ist zum Glück überhaupt nicht tief, aber kalt. Schnell fischen wir sie wieder raus und machen uns auf den Rückweg. Denn wir haben weder an Handtücher noch an weitere Decken gedacht. Zugegeben, bin ich ein bisschen enttäuscht, aber die Gesundheit der Hunde geht vor.

Einmal Nordfluter und zurück

Zurück am Haus lassen wir es erst einmal etwas ruhiger angehen. Betty musste ja auch wieder trocken werden. Da der Tag erst zur Hälfte angebrochen ist, machen wir uns am Nachmittag erneut auf eine kleine Wanderung. Eigentlich wollen wir den Irrgarten in unserer Nachbarschaft besuchen. Dieser war leider geschlossen und wir lassen uns einfach über verschiedene Nebenwanderwege treiben. Der größte Teil des Weges zwischen Nordfließ, Kleines Fließ und Malxen lässt sich sehr schön laufen. Auf den schmalen Wegen gibt es nur uns, die Hunde und eine traumhafte Ruhe. Wir passieren verschlafene Höfe und finden sogar ein verlassenes Gehöft, dass sofort unsere Träume weckt. Wäre es nicht schön, hier ein zweites Zuhause zu finden? Niko würde sich sicherlich freuen. Von Franziska erfahren wir später, dass auf dem Hof schonmal Dreharbeiten für den Spreewaldkrimi stattgefunden haben. Schon bei ihrer eigenen Suche nach einem geeigneten Grundstück, sind sie über diesen Hof gestolpert. Eine kleine Entdeckungstour muss trotzdem sein. Natürlich nur außerhalb der Gebäude und unter Beobachtung der aufmerksamen Nachbarn.

In freier Natur haben wir sie nicht erlebt, doch trotzdem kommen wir nicht an ihr vorbei – die berühmte Spreewaldgurke. Aufgrund seines humusreichen Bodens und den – tatsächlich – vielen Sonnenstunden gedeihen hier die Gurken besonders gut. Die Gurke ist inzwischen so berühmt, dass ihr zu Ehren jedes Jahr im August gefeiert wird.

Und zurück im Haus haben die Hunde auch mal Pause …

Die beiden Tage im Spreewald sind so schnell vergangen und gerne wären wir noch etwas länger geblieben. Ein bisschen wehmütig nehmen wir Abschied, als uns Franziska am nächsten Morgen wieder abholt und über einen kleinen Umweg zum Bahnhof fährt. Zu jeder Jahreszeit hat das Reservat seinen ganz eigenen Zauber. Und verzaubert sind wir nun allemal. Es gibt einfach so viel zu entdecken. Besonders toll war natürlich, dass wir alles gut zu Fuß oder eben mit den Fahrrädern erreichen konnten. Zum Einkaufen nach Burg-Dorf sind es gerade mal vier Kilometer – auf frische Brötchen mussten wir also nicht verzichten.

Wir kommen also wieder. Versprochen!

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